Schwieriges Erinnern – die Rote Hilfe Deutschlands in der Geschichtsschreibung

 

Rote Hilfe Deutschlands – bei die Nennung dieser Organisation reagierten bis vor kurzem selbst Historiker, deren Fachgebiet die Weimarer Republik oder die Zeit des Nationalsozialismus ist, mit fragenden Blicken. Nachdem die Rote Hilfe jahrzehntelang ein Stiefkind der Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung war, liegen jetzt gleich drei neue Veröffentlichungen zu diesem Thema vor.

 

Zur Geschichte der Roten Hilfe

 

Die ersten Vorläufer der Roten Hilfe finden sich in München. Hier gründeten nach der blutigen Niederschlagung der Räterepublik im Frühjahr 1919 Frauen wie die Unabhängige Sozialdemokratin Rosa Aschenbrenner die "Frauenhilfe für politische Gefangenen". Die Frauenhilfe sammelte Gelder und Lebensmittel für die ihrer Ernährers durch Haft oder Tod beraubten Arbeiterfamilien.

Als nach dem kommunistischen Aufstand in Mitteldeutschland im März 1921 eine Massenrepression gegen Revolutionäre und ihre Angehörigen einsetzte, rief der kommunistische Reichstagsabgeordnete Wilhelm Pieck zur Gründung von Rote-Hilfe-Komitees zur Unterstützung der Opfer des weißen Terrors auf. Auch nach den gescheiterten Hamburger Aufstand 1923 leisteten diese der KPD angegliederten Komitees juristische, materielle und moralische Hilfe für Gefangene oder Untergetauchte und ihre Familien. Da die KPD die Mittel für die vielen Tausend politischen Gefangenen, die längst nicht alle Kommunisten waren, nicht alleine aufbringen konnte und wollte, wurde Ende 1924 die Rote Hilfe Deutschlands (RHD) als offiziell von der KPD unabhängige zentralisierte Mitgliederorganisation gegründet.

Obwohl weiterhin eindeutig kommunistisch gelenkt - Vorsitzender blieb Wilhelm Pieck - war der Anspruch der RHD überparteilich. Das äußerte sich in der Mitgliedschaft, die neben Kommunisten auch einige Anarchisten, Sozialdemokraten, Linksliberale und vor allem Parteilose umfasste. Ein Unvereinbarkeitsbeschluss der SPD verhinderte allerdings, dass jemals mehr als 2000 Sozialdemokraten der Roten Hilfe angehörten. Eine Mehrheit der Mitglieder war im Übrigen parteilos.

Unterstützt wurden linke politische Gefangene ungeachtet ihrer Parteizugehörigkeit. So führte die RHD Massenkampagnen für die Freilassung des anarchistischen Dichters und Räterepublikaners Erich Mühsam, des Linkskommunisten Max Hoelz, des von den Nazis zu den Kommunisten übergewechselten Reichswehrleutnants Richard Scheringer und des Bauernführers Claus Heim. Anfang der 1930er Jahre unterstützte die Rote Hilfe auch Dutzende sozialdemokratischer Reichsbannerarbeiter, die nach Kämpfen mit der SA angeklagt wurden und von der SPD keine Hilfe erhielten.

Die RHD organisierte Rechtsberatungsstellen und stellte Anwälte für politische Prozesse. Dabei konnte sie auf bis zu 300 demokratisch gesinnte Rechtsanwälte aus den verschiedensten politischen Spektren zurückgreifen. Ein Bestseller wurde die von Felix Halle verfasste Ratgeberbroschüre "Wie verteidigt sich der Proletarier vor Gericht".

In großangelegten Kampagnen stritt die Rote Hilfe für eine Amnestierung von bis zu 9000 proletarischen politischen Gefangenen während der Weimarer Republik.

Ein illegaler Apparat der Roten Hilfe beschaffte falsche Pässe und leistete Fluchthilfe in die Sowjetunion für Revolutionäre, denen langjährige Haftstrafen drohten. Auch die Mörder des SA-Mannes Horst Wessel wurden so außer Landes gebracht. Politischen Emigranten aus anderen Ländern, beispielsweise italienischen Antifaschisten, beschaffte die Rote Hilfe Unterkunft und Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland. Mit Hilfe der KPD-Reichstagsfraktion stritt die Rote Hilfe für ein uneingeschränktes Recht auf Asyl.

In großangelegten Winterhilfskampagnen wurden Geld und Lebensmittel für die Familien der politischen Gefangenen gesammelt. Die Rote Hilfe unterhielt in Worpswede bei Bremen und im thüringischen Elgersburg zwei Erholungsheime für Kinder politischer Gefangener und im Klassenkampf gefallener Arbeiter.

Juristen der Roten Hilfe engagierten sich in Zusammenarbeit mit Organisationen wie der Liga für Menschenrechte und Wissenschaftlern wie dem Sexualmediziner Magnus Hirschfeld für eine Reform des Strafgesetzbuches, des Sexualstrafrechts und des Strafvollzuges. In diesem Zusammenhang beteiligte sich die Rote Hilfe auch an Kampagnen gegen den § 218.

Bei ihren Kampagnen wurde die RHD von Persönlichkeiten wie dem Physiker Albert Einstein, der Malerin Käthe Kollwitz oder den Gebrüdern Heinrich und Thomas Mann unterstützt. Kurt Tucholsky gehörte dem Vorstand der RHD an und der Maler Heinrich Vogeler schenkte der Roten Hilfe seinen Barkenhoff als Kinderheim und warb mit seinen Bildern für das Hilfswerk.

International war die Rote Hilfe mit der 1922 von der Kommunistischen Internationale geschaffenen Internationalen Roten Hilfe (IRH) verbunden, die weltweit 71 Sektionen mit insgesamt 13,8 Millionen Mitgliedern unterhielt. In Zusammenarbeit mit der IRH führte die RHD Kampagnen gegen den weißen Terror in Mussolinis Italien, den Balkanländern, Polen und dem Baltikum durch. Massencharakter hatten vor allem Proteste gegen die Hinrichtung der Anarchisten Sacco und Vanzetti in den USA. Die letzte große Kampagne vor 1933, an der auch Kindergruppen der Roten Hilfe aktiven Anteil nahmen, wurde gegen die drohende Hinrichtung afroamerikanischer Jugendlicher in den Südstaaten der USA geführt. Wie in einer Reihe anderer Fälle konnte durch das Engagement der Roten Hilfe auch hier die Hinrichtung abgewendet werden.

1928/29 machte sich die Stalinisierung der KPD auch in der Roten Hilfe bemerkbar. Funktionären, die der "rechten" Opposition der KPD um Heinrich Brandler nahe standen, darunter der RHD-Vorsitzende Jacob Schlör, wurden trotz der Proteste der IRH-Vorsitzenden Clara Zetkin aus IRIRaus der Roten Hilfe ausgeschlossen. Die RHD verlor viele ihrer bürgerlichen Unterstützer und wurde zum reinen Instrument des Thälmann`schen ZK der KPD. Die Führung der SPD wurde als "sozialfaschistisch" bezeichnet und die Rote Hilfe sah ihr Ziel in einem "Roten Räte-Deutschland". Doch in der Zeit der Weltwirtschaftskrise mit einer Verschärfung der innenpolitischen Situation, Sondergesetzen, Schnellgerichten und täglichen Naziübergriffen wuchs die RHD am Vorabend des Nationalsozialismus zu einer Massenorganisation mit über 375.000 Einzelmitgliedern und über 651.000 Anhängern der Kollektivmitgliedschaften an.

 

Nach der Machtübernahme der NSDAP wurde die Rote Hilfe wie alle Organisationen der Arbeiterbewegung verboten und zerschlagen. Führende Funktionären wie Eugen Schönhaar und Erich Steinfurth wurden von der Gestapo „auf der Flucht erschossen“, oder wie das Mitglied der illegalen Reichsleitung Rudolf Claus allein wegen eines „Meinungsverbrechens“ hingerichtet. Andere, wie der Jurist Felix Halle fielen im sowjetischen Exil dem Stalinismus zum Opfer.

Es gelang der Roten Hilfe, sich im Untergrund zu reorganisieren und aktiven Widerstand gegen die NS-Diktatur zu leisten. Zum Teil griff die RHD trotz der Widerstände unter ihrer Mitgliedschaft zur Taktik des "Trojanischen Pferdes", indem sie Organisationen der NS-Volkswohlfahrt unterwanderten und dort für die Familien der politischen Gefangenen sammelte. Als wirksames Mittel zum Schutz politischer Gefangener sah die Rote Hilfe ab 1937 die Organisation von Petitionskampagnen an. Angehörige, Kollegen und Freunde von Gefangenen wurden veranlasst, vom rein humanistischen Standpunkt aus argumentierend bei den NS-Behörden für die Entlassung eines Gefangenen einzutreten. Während diese Taktik in einer Reihe von Fällen erfolgreich war, konnte die Hinrichtung der Studentin Liselotte Herrmann so nicht verhindert werden.

Ab 1935 wurde die Rote Hilfe als „Rotes Kreuz der antifaschistischen Volksfront“ das wichtigste Instrument der Kommunisten zum Bündnis mit Sozialdemokraten. Da die SPD-Führung im Prager Exil die Zusammenarbeit mit der KPD ablehnte, bot sich für Sozialdemokraten in Deutschland, die dennoch die Einheitsfront mit Kommunisten suchten, die formal unabhängige Rote Hilfe als Partner an. Zu Einheitsfrontabkommen kam es unter anderem in Baden und Berlin. In Ostsachsen wurden gemeinsame Komitees von Kommunisten, Sozialdemokraten, Christen und sogar Zeugen Jehovas gebildet. Mit dem Ziel, alle vom Nazi-Terror betroffenen Kreise der Bevölkerung in einem Solidaritätswerk zu sammeln, beschloss die Auslandsleitung der Roten Hilfe im September 1938 die Umbenennung der Organisation in Deutsche Volkshilfe. Als diffuse Hilfsbewegung ohne überregionale oder auch nur betriebsübergreifende Struktur konnten einige Hilfskomitees und Spenderkreise auch nach Kriegsausbruch weiterarbeiten.

 

Zum Forschungsstand

 

Selbst in einschlägigen Darstellungen zur Geschichte der sozialen Bewegungen in Deutschland findet die Rote Hilfe kaum Erwähnung. So handelt Heinrich August Winklers dreibändiges Standardwerk zur Arbeiterbewegung der Weimarer Republik die Rote Hilfe in wenigen Zeilen ab.[1] In neuere Untersuchungen zum deutschen Kommunismus, wie sie seit Mitte der 1990er Jahre von Eric Weitz, Klaus-Michael Mallmann und Klaus Kinner vorgelegt wurden, bleibt die Rote Hilfe ein marginaler Faktor. Dies ist umso erstaunlicher, da Mallmanns „politischen Sozialgeschichte“ des deutschen Kommunismus auf die angenommene Existenz eines übergreifenden linksproletarischen sozialmoralischen Milieus jenseits der parteipolitischen Spaltungen stützt, das sich gerade in der Rote Hilfe wiederspiegelt. „Kampf“ und „Solidarität“ bilden für Eric Weitz Eckpunkte im Selbstverständnis des deutschen Kommunismus, doch die Rote Hilfe als organisatorische Verkörperung des Solidaritätsbegriffes wird nur im Zusammenhang mit Spendensammlungen kurz gestreift.[2] Auch in Darstellungen zur Geschichte des deutschen Widerstandes wurde die Rote Hilfe weitgehend vernachlässigt. Eine Ausnahme bilden die von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand herausgegebenen Bände zum Berliner Widerstand 1933-1945 sowie Michael Schneiders Untersuchung zur Arbeiterbewegung „Unterm Hakenkreuz“.[3]

 

Die besonderen Probleme beider deutscher Staaten mit der Roten Hilfe hat der bekannte Rechtsanwalt und Justizkritiker Heinrich Hannover am Beispiel der Rote-Hilfe-Anwälte und ihrer Mandanten benannt: „Dass die Angeklagten der politischen Justiz von 1918 bis 1933 ganz überwiegend Kommunisten waren, sicherte ihnen zwar in der DDR ein ehrendes Andenken, nicht aber in der alten Bundesrepublik, in der historische Verdienste von Kommunisten einfach nicht wahr sein durften und weiterhin der Zensur durch Verschweigen verfielen. Sich ihrer zu erinnern hätte der neueren Kommunistenverfolgung, die bis in unsere Tage anhält, im Wege gestanden. Mit den Verteidigern hatten beide deutsche Nachkriegsstaaten ihre Schwierigkeiten. Nicht nur, weil sie ganz überwiegend Juden oder jüdischer Abstammung waren und antisemitische Geisteshaltung hier wie dort fortwirkten oder wiederkamen. Auch soweit sie Kommunisten waren, erinnerte man sich ihrer sowohl im Westen wie im Osten nicht gerne, weil man nicht über sie reden kann, ohne auch der schwärzesten Abschnitte deutscher und sowjetischer Geschichte zu gedenken. Denn die Lebensläufe vieler Angeklagter und ihrer Verteidiger endeten in Gefängnissen und Todeslagern. Und zwar, was für alle freiheitlich gesinnten Sozialisten besonders empörend ist, nicht nur in denen Hitlers, sondern auch in denen Stalins.“[4]

 

Die ehemalige DDR-Justizministerin Hilde Benjamin hatte mehrfach die Absicht geäußert, eine Darstellung zur Geschichte der Roten Hilfe zu schreiben. Als ehemalige Rechtsanwältin der Roten Hilfe, die ab 1929 auch dem RHD-Zentralvorstand angehörte, stellte Benjamin eine Autorität dar, an der ostdeutsche Historiker nicht vorbeikamen. So begnügten sich DDR-Historiker mit Einzeldarstellungen. Beispielsweise haben ostdeutsche und sowjetische Historiker, Juristen und Archivare, so Johannes Zelt, Anatolij Ilitsch Awrus, L.G. Babitschenko, Gerlinde Grahn und Günter König eine Reihe von Studien über Einzelaspekte wie der Rolle Wilhelm Piecks und Clara Zetkins innerhalb der Hilfsorganisation, der Roten Hilfe während der Weltwirtschaftskrise, oder der Kampagne für Sacco und Vanzetti veröffentlicht.[5]

Problematisch an diesen Untersuchungen ist ihre in der Regel einseitige Quellenauswahl, die sich allein auf propagandistische Schriften der Roten Hilfe stützt. Interne Dokumente, die Problembereiche und Widersprüchlichkeiten spiegeln, wurden nur äußerst spärlich herangezogen, während Propagandamaterial unkritisch für bare Münze genommen wurde. Überhöhte Zahlenangaben zur Mitgliedschaft wurden weder an den internen Statistiken der Leitungsgremien, noch an den Einschätzungen der politischen Polizei überprüft. Ebenso wenig wurden von den proletarischen Organisationen selbst proklamierte Ansprüche, wie ihre Überparteilichkeit oder die Führungsrolle der Kommunisten kritisch reflektiert und an der Realität und den Argumenten zeitgenössischer Kritiker innerhalb der Arbeiterbewegung gemessen.

 

Während sich in der Bundesrepublik eine Reihe von Schriften mit der Entwicklung der KPD– vor allem als Korrektur zur SED-nahen Geschichtsdeutung - beschäftigt, lassen sich die Veröffentlichungen zur Roten Hilfe an einer Hand abzählen. Neben einer weitverbreiteten Scheu vor „roten“ Themen spielten sicherlich Zeitumstände eine Rolle. Im Umfeld maoistischer K-Gruppen hatten sich in den 1970er Jahren neue Rote-Hilfe-Gruppen gegründet, die die Tradition der RHD für sich beanspruchten. Und die historische Diskussion um politische Gefangene wurde überlastet durch die Debatte über Stammheim und die RAF-Gefangenen.

 

Hartmann Wunderers 1980 erschienene Untersuchung „Arbeitervereine und Arbeiterparteien“ enthält eine prägnante Überblicksdarstellung über die organisatorische Entwicklung der Roten Hilfe.[6] Ein Geschichtsüberblick, der sich neben der historischen Roten Hilfe auch mit der Neugründung von Rote-Hilfe-Gruppen in den 1970er Jahren beschäftigt, wurde 1996 vom Rechtshilfeverein Rote Hilfe e.V. veröffentlicht.[7] Arbeiten von Ulrich Stascheit und Carola Tischer thematisieren die Rolle der Roten Hilfe während der Stalinschen Säuberungen.[8]

 

Eine Bibliographie zur „Literatur der Roten Hilfe in Deutschland“ hat Heinz Sommer 1991 verfasst.[9] Ebenfalls 1991 erschien die Dokumentation „Der Barkenhoff - Kinderheim der Roten Hilfe 1923-1932“ mit Beiträgen von Gerlinde Grahn, Siegfried Bresler, Christine Hoffmeister und Heinz Werner zu den Kinderholungsheimen der Roten Hilfe in Worpswede und Elgersburg sowie der Rolle Heinrich Vogelers.[10]

 

Über die Rechtsanwälte der Roten Hilfe liegen neben einer unveröffentlichten Dissertation der Potsdamer Juristin Petra Gängel aus dem Jahr 1986, die von Hilde Benjamin betreut wurde, eine Reihe Einzelstudien sowie seit 2002 ein Überblickswerk von Heinz-Jürgen Schneider, Josef und Erika Schwarz mit rund 300 Kurzbiographien vor.[11] Untersuchungen zur rechtswissenschaftlichen Tätigkeit kommunistischer Juristen, die auch der Roten Hilfe angehörten, hat der ostdeutsche Jurist Volkmar Schöneburg erstellt.[12]

 

2003 erschien der von Sabine Hering und Kurt Schilde herausgegebene Sammelband „Die Rote Hilfe – Die Geschichte der internationalen kommunistischen `Wohlfahrtsorganisation´ und ihrer sozialen Aktivitäten in Deutschland (1921-1941)“. Hier liegt neben einem skizzenhaften Überblick über die Entwicklung der Roten Hilfe Deutschlands und der Internationalen Roten Hilfe sowie Einzeluntersuchungen zur Stellung der Roten Hilfe innerhalb der deutschen Arbeiterbewegung, ihrer Presse und ihrer sozialen Aktivitäten im Bereich der Rechts- und Kinderhilfe der Schwerpunkt auf biografischen Skizzen ausgewählter Funktionäre.[13]

 

Mit meiner 2002 unter dem Titel „Rote Hilfe Deutschlands – Von der Münchner Frauenhilfe für politische Gefangene bis zur antifaschistischen Deutschen Volkshilfe (1919-1938)“ an der Ludwig-Maximilians-Universität München angenommenen Dissertation, die jetzt überarbeitet unter dem Titel „Schafft Roten Hilfe! Geschichte und Aktivitäten der proletarischen Hilfsorganisation für politische Gefangene in Deutschland (1919-1938)“ erscheint, liegt erstmals der Versuch einer Gesamtdarstellung der Roten Hilfe Deutschlands von ihren Vorläufern während der revolutionären Nachkriegswirren bis zur Umwandlung in die Deutsche Volkshilfe Ende der 1930er Jahre vor.[14] Die Arbeit untersucht die verschiedenen Aufgabengebiete von der Sozialfürsorge über juristische und rechtswissenschaftliche Tätigkeiten bis zur illegalen Fluchthilfe und dem antifaschistischen Widerstand. Neben der nationalen und internationalen Kampagnetätigkeit wird auch die alltägliche Kleinarbeit eines Roten Helfers, das Sammeln von Spenden für die Familienhilfe oder Unterschriften für die Vollamnestie, der Kontakt zu politischen Gefangenen durch Besuche und Briefe, Demonstrationen, Filmabende und Gedenkveranstaltungen für gefallene Revolutionäre beleuchtet.

 

Schließlich wurde im April 2000 im ehemaligen Rote-Hilfe-Kinderheim „MOPR“ im thüringischen Elgersburg, dem jetzigen „Hotel am Wald“, eine schon zu DDR-Zeiten bestehende Dauersaustellung über die Roten Hilfe und ihre Kinderheime in überarbeiteter Form wieder eröffnet. Neu hinzugekommen ist unter anderem eine Gedenktafel für den Gründer der Elgersburger Roten Hilfe Karl Hager, der ein Opfer stalinistischer Verfolgung wurde.

 

Biographien

 

Auffällig oft wird bei der Aufarbeitung der Geschichte der Roten Hilfe auf biografische Ansätze zurückgegriffen. Schon in der DDR-Forschung wurde der Versuch unternommen, die Rote Hilfe am Wirken prominenter Führungsfiguren wie Clara Zetkin und Wilhelm Pieck fest zu machen.

Auch die 1991 erschienene Dokumentation „Der Barkenhoff als Kinderheim der Roten Hilfe 1923 – 1932“ von Siegfried Bresler und anderen stellt neben einem geschichtlichen Überblick Porträts der in den Kinderheimen tätigen Erzieher Ernst Behm, Ella Ehlers, Karl Ellrich und Helmut Schinkel sowie des Kunstmalers Heinrich Vogeler in den Vordergrund.

Explizit biographisch ausgerichtet ist das Buch zu den Rechtsanwälten der Roten Hilfe von Josef und Erika Schwarz sowie Heinz-Jürgen Schneider mit rund 300 Kurzbiographien.

Auch im Sammelband „Die Rote Hilfe“ wird anhand ausgewählter biographischer Skizzen versucht, Eckpunkte im Sozialmilieu der Roten Hilfe zu setzen. Von der russischen IRH-Spitzenfunktionärin Jelena Stassowa bis zur Münchner USPD-Aktivistin Rosa Aschenbrenner, vom im Hinter- und Untergrund wirkenden Arbeiterfunktionär Eugen Schönhaar bis zum weithin geachteten Juristen Felix Halle, von der aus großbürgerlichen Verhältnissen stammenden Mentona Moser, die zuerst als Mäzenin, dann als einfache Mitarbeiterin auftrat bis zur Kinderheimleiterin Ella Ehlers und zum Pädagogen Helmut Schinkel reicht das Spektrum.

 

Während sich das zu untersuchende Milieu im Falle der KPD weitgehend auf die Arbeiterschaft beschränkt, stehen wir im Falle der Roten Hilfe einer Multitude von Milieus gegenüber. Die Arbeit der Roten Hilfe beruhte auf drei Säulen. Die erste war die Masse der einfachen Arbeiter, die als Mitglieder, Funktionäre und Spender die Organisation trugen.

 

Das zweite Standbein waren die Rechtsanwälte der Roten Hilfe. Diese juristische Gegenelite zeichnete ein anderer Lebensstil, andere Präferenzen und ein anderer gesellschaftlicher Umgang aus, als ihn ihre systemkonformen, noch im Kaiserreich ausgebildeten Standesgenossen pflegten. Bis zu 60 % der für die Rote Hilfe tätigen Anwälte waren jüdischer Herkunft, eine Tatsache, die sie 1933 der besonderen Willkür des NS-Regimes auslieferte. Politisch kamen die Anwälte aus einen breiteren Spektrum, das vom Anarchismus bis zu Mitgliedern des Zentrum reichte.

 

Ein Gesicht, dass bis weit in das Bürgertum wahrgenommen wurde, bekam die Rote Hilfe durch eine Reihe couragierter Intellektueller, die sich nicht scheuten, mit ihrem Namen für die Rote Hilfe oder einzelne ihrer Kampagnen zu werben. Das Spektrum dieser prominenten Unterstützer aus Kultur und Wissenschaft reichte von Parteikommunisten wie Johannes R. Becher über linke Schwärmer wie dem Kunstmaler Heinrich Vogeler bis zu den republikanisch gesinnten Schriftstellern Heinrich und Thomas Mann. Unter den regelmäßigen Unterstützern der Roten Hilfe befanden sich überdurchschnittlich viele Mitglieder der „Deutschen Liga für Menschenrechte“, aber auch der „Gesellschaft der Freunde des neuen Russland“. Ihre Motive bei der Unterstützung der Roten Hilfe reichten von Hingabe an den Kommunismus über ein humanistisches Mitgefühl mit unschuldigen Opfern, einem starken Gerechtigkeitsgefühl, bis zur dezidierten Verteidigung der demokratischen Errungenschaften der Weimarer Republik.

Mit Verweis auf das Schicksal „unschuldiger Kinder“ warb die Rote Hilfe Prominente wie den Physiknobelpreisträger Albert Einstein für ein Kuratorium, das sich schützend vor ihre ständig von der Schließung bedrohten Kindererholungsheimen stellte. Aber auch mit dem Aufgreifen von Fällen staatlicher Kunst- und Literaturzensur - etwa während der Debatte um das Schmutz- und Schundgesetz -  wurden Intellektuelle für die Anliegen der Roten Hilfe sensibilisiert.

 

Perspektiven

 

Seit 1990 stehen der Wissenschaft ost- wie westdeutsche Archive zur Verfügung. Auch in der DDR für die Forschung gesperrte Bestände des Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, wie Teile des Wilhelm-Pieck-Nachlasses können nun in der Stiftung Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Berlin (SAPMO) eingesehen werden. Neue Impulse für die Erforschung der Roten Hilfe können durch die systematische Auswertung von Beständen zur Roten Hilfe im Russischen Staatsarchiv für sozialpolitische Geschichte (RGASPI) und im Staatsarchiv der Russischen Föderation (GARF) in Moskau kommen.

 

Forschungsbedarf besteht insbesondere für die Zeit ab 1933. Bestände im SAPMO erlauben zwar ein ungefähres  Bild über die innerdeutsche Widerstandsarbeit der Roten Hilfe. Über die Arbeit in den angrenzenden Ländern, die Organisation der dortigen Hilfskomitees und Außenstellen sowie die von der Internationalen Roten Hilfe organisierte Solidaritätsarbeit mit dem deutschen Widerstand fehlen dagegen noch viele Mosaiksteine. Aufschluss geben könnten die Moskauer Archive zudem über das Schicksal einer Reihe von Funktionären der Roten Hilfe, die mutmaßliche Opfer der Stalinschen Säuberungen wurden.

 

Auch lokalgeschichtliche Forschungen, die exemplarisch die Arbeit einer Ortsgruppe der Roten Hilfe herausarbeiten, wären eine sinnvolle Ergänzung zu den jetzt vorliegenden Darstellungen der Organisationsgeschichte, um die Stellung der Roten Hilfe im linksproletarischen Milieu herauszuarbeiten.

 

Zur Aktualität

 

Wenn heute Folter und Todesstrafe immer noch in vielen Ländern zur Normalität gehören und weltweit unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung demokratischen Rechte abgebaut werden, ist es angemessen, sich derjenigen mutigen Frauen und Männer zu erinnern, die mit ihrem Engagement und oft genug mit ihrem Leben in den 1920er und 30er Jahren gegen Justizunrecht, Polizeiwillkür, Demokratieabbau, Rassenhass und politische Verfolgung eintraten. „Man wird schließlich sagen müssen, dass die Justiz in der Weimarer Republik mitgewirkt hat nicht nur an dem Scheitern dieser Republik, sondern gerade an ihrer Überwältigung durch autoritäre und totalitäre Bewegungen. Insofern ist es durchaus berechtigt, die Weimarer Justiz zu einem guten Teil als Voraussetzung und Quellengrund des `Dritten Reiches´ zu betrachten“[15], lautet ein pointierten Urteil des Historikers Karl Dietrich Bracher. In der Weimarer Republik waren die Gerichtssäle zu einem entscheidenden Feld der gesellschaftlichen Auseinandersetzung geworden waren. Die Rote Hilfe und ihre Rechtsanwälte hatten sich dieser Auseinandersetzung gestellt.

 

Nikolaus Brauns

 

Informationen Studienkreis deutscher Widerstand 58 2003

 

 

 

 

 

 



[1] Vgl. Heinrich August Winkler: Der Schein der Normalität. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1924 bis 1930, 2. Aufl. Berlin/Bonn 1985., 461.

[2] Vgl. Weitz, Communism, 249 ff.; 254, 256.

[3] Michael Schneider: Unterm Hakenkreuz. Arbeiter und Arbeiterbewegung 1933 bis 1939, Bonn 1999.

[4] Heinz-Jürgen Schneider / Erika Schwarz / Josef Schwarz: Die Rechtsanwälte der Roten Hilfe Deutschlands. Politische Strafverteidiger in der Weimarer Republik – Geschichte und Biographien, Köln 2002, 7-8.

[5] Alfred Anderle / Konrad Hecktheuer (Hg.): Proletarischer Internationalismus. Materialien einer Arbeitstagung über Rolle und Bedeutung des proletarischen Internationalismus, Berlin 1961; Anatolij Ilitsch Awrus / L.G. Babitschenko: Wilhelm Pieck und die Rote Hilfe (1922 – 1941), in: BzG 6/1975, 1022-1033; L. G. Babitschenko: Clara Zetkin und die Internationale Rote Hilfe, in: BzG 3/1977, 371-382; Gerlinde Grahn: Dokumente über das „MOPR“-Kinderheim in Elgersburg, in: BzG 2/1988, 188-198; dslb.: Eugen Schönhaar und die IRH 1924 bis 1930. Informationen über Quellen im Zentralen Staatsarchiv Potsdam, in: BzG 5 /1986, 647-657; dslb.: Die IRH gegen den Justizterror in Bulgarien 1927, in: BzG 1/1984, 45-55; Gisela Jähn / Manuela Richter u. a. (Hg.): Übt Solidarität!  Revolutionäre Traditionen der Roten Hilfe Deutschlands, Berlin 1984; Günter König: Der Kampf der Roten Hilfe Deutschlands gegen die Klassenjustiz der Weimarer Republik und für die Freilassung der proletarisch-politischen Gefangenen in der Periode der Weltwirtschaftskrise, Unveröffentlichte Dissertation, Philosophische Fakultät Karl-Marx-Universität Leipzig 1967; Heinz Sommer: Aus den Anfängen der Verlagsarbeit der Internationalen Roten Hilfe in Deutschland, BzG 2/1982, 212-216; Johannes Zelt: Proletarischer Internationalismus im Kampf um Sacco und Vanzetti. Unter besonderer Berücksichtigung der Solidaritätskampagne in Deutschland und der Tätigkeit der Internationalen Roten Hilfe, Berlin 1958; dslb.: ... und nicht vergessen - die Solidarität! Aus der Geschichte der Internationalen Roten Hilfe und der Roten Hilfe Deutschlands, Berlin 1960.

Eine sehr allgemein gehaltene Geschichte der IRH von 1922 bis 1939 liegt auf russisch vor: Anatolij Ilitsch Awrus / L.G. Babitschenko: MOPR - Die Internationale Rote Hilfe im Kampf gegen Terror und Faschismus 1922–1939, Moskau 1976.

[6] Hartmann Wunderer: Arbeitervereine und Arbeiterparteien. Kultur- und Massenorganisationen in der Arbeiterbewegung (1890 - 1933), Frankfurt am Main / New York 1980.

[7] Bundesvorstand der Roten Hilfe e.V. (Hg.): Vorwärts und nicht vergessen - 70/20 Jahre Rote Hilfe,  Kiel 1996. Aufgrund der günstigen Quellenlage entstanden in Bremen drei unveröffentlichte Examensarbeiten über de örtliche Rote Hilfe: Ellen Bauer: Die Rote Hilfe in Bremen 1921 - 1923. Unveröffentlichte Examensarbeit, Pädagogische Hochschule Bremen 1966; Kurt Freimuth: Die Rote Hilfe in Bremen 1929 - 1933, Unveröffentlichte Examensarbeit, Universität, Bremen 1974; Dieter Holschen: Die Rote Hilfe in Bremen ( 1924 - 1929), Unveröffentlichte Examensarbeit, Pädagogische Hochschule Bremen 1970.

[8] Ulrich Stascheit: Die „Rote Hilfe“ in der „stalinistischen Säuberung“, in: Kritische Justiz 12/1979, 376-400; Tischler, Carola: Vom Helfer zum Verräter? Reaktionen der Internationalen Roten Hilfe auf die Massenverhaftungen deutscher Emigranten in der Sowjetunion 1936 bis 1938, in: H. Weber / D. Staritz: Kommunisten verfolgen Kommunisten, Berlin 1993.

[9] Heinz Sommer: Literatur der Roten Hilfe in Deutschland. Bibliographie, Berlin 1991.

[10] Siegfried Bresler / Gerlinde Grahn / Christine Hoffmeister / Heinz Werner: Der Barkenhoff - Kinderheim der Roten Hilfe 1923 - 1932. Eine Dokumentation zur Ausstellung im Barkenhoff, Worpswede 1991.

[11] Siehe z.B. Marianne Brentzel: Die Machtfrau. Hilde Benjamin 1902 – 1989, Berlin 1997; Carlheinz von Brück: Ein Mann, der Hitler in die Enge trieb. Hans Littens Kampf gegen den Faschismus. Ein Dokumentarbericht, Berlin 1975; Andrea Feth: Hilde Benjamin - Eine Biographie, Berlin 1997; Andreas Gängel: Der „Rote-Hilfe-Anwalt – Alfred Apfel, in: Die Weltbühne 16/1989, 494-496; Petra Gängel: Die Rote Hilfe Deutschlands und „ihre“ Rechtsanwälte im Kampf gegen die politische Justiz der Weimarer Republik, Unveröffentlichte Dissertation, Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR Potsdam 1985; Norman Paech: „Ich habe nur als proletarischer Anwalt meine Pflicht gegenüber den angeklagten Proletariern erfüllt.“ - Hans Litten, Rechtsanwalt (1903-1938), in: Demokratie und Recht 1988, 70-78; Josef  Schwarz: Zu Unrecht vergessen: Felix Halle und die deutsche Justiz, Schkeuditz 1997; Ulrich Stascheit: Felix Halle (1884 - 1937) - Justitiar der Kommunistischen Partei, in: Kritische Justiz: Streitbare Juristen, Baden-Baden 1988, 153-162; Heinz-Jürgen Schneider / Erika Schwarz / Josef Schwarz: Die Rechtsanwälte der Roten Hilfe Deutschlands. Politische Strafverteidiger in der Weimarer Republik – Geschichte und Biographien, Köln 2002.

[12] Volkmar Schöneburg: Arbeiterbewegung und alternatives Sexualstrafrecht in der Weimarer Republik - dem Wirken Magnus Hirschfelds gewidmet, in: Staat und Recht 8/1988, 691-698;  KPD und Kriminalwissenschaften, in: Neue Justiz 3/1986, 88-9;  KPD und proletarisches Erbe in der Rechtswissenschaft, in: K.-H. Schöneburg KPD und Staatsfrage, Berlin 1986, 83-118;  KPD und sowjetische Kriminalwissenschaften 1919 – 1932, in: Staat und Recht 10/1987, 852-859;  Kriminalwissenschaftliches Erbe der KPD 1919 bis 1933, Berlin, 1989;  Rechtsforderungen und Klassenkampf. Die Juristische Zentralstelle der KPD-Reichstagsfraktion in der Weimarer Republik, in: Neue Justiz 12/1988, 485-489;  Rechtswissenschaft von „unten“. Zum 60.Gründungstag der Internationalen Juristischen Vereinigung, in: Neue Justiz 12 /1989, 487-490.

[13] Sabine Hering / Kurt Schilde: Die Rote Hilfe. Die Geschichte der internationalen kommunistischen „Wohlfahrtsorganisation“ und ihrer sozialen Aktivitäten in Deutschland (1921-1941), Opladen 2003.

[14] Nikolaus Brauns: Schafft Rote Hilfe! Geschichte und Aktivitäten der proletarischen Hilfsorganisation für politische Gefangene in Deutschland (1919-1938), Bonn 2003.

[15] In: Heinrich Hannover / Elisabeth Hannover: Politische Justiz 1918 – 1933, Frankfurt am Main 1966, 12 f..