Krieg oder Revolution?

 

Rainer Tosstorff hat einen Beitrag zur Geschichte der oppositionellen Kommunisten im spanischen Bürgerkrieg verfasst

 

George Orwells autobiographisches Buch „Mein Katalonien“ und der Film des britischen Regisseurs Ken Loach „Land and Freedom“ haben das Schicksal der oppositionell-kommunistischen „Arbeiterpartei der Marxistischen Einigung“ (POUM) im spanischen Bürgerkrieg bekannt gemacht.

 

Rechtzeitig zum 70.Jahrestag des Bürgerkriegsausbruchs hat der Mainzer Historiker Rainer Tosstorff eine neue Monographie über die POUM vorgelegt. Bereits vor 20 Jahren hatte Tosstorff mit seiner Dissertation die erste umfassende, allerdings schon lange vergriffene Untersuchung zur POUM veröffentlicht. Der jetzt beim Neuen isp-Verlag erschienene Band faßt eine Reihe von aktualisierten Aufsätzen der letzten Jahre sowie Ausschnitte der Dissertation zusammen. Trotz der Form eines Sammelbandes handelt es sich um ein zusammenhängendes Porträt der Partei, daß auch neuere Forschungen nach Öffnung spanischer und sowjetischer Archive beinhaltet.

 

Schon der Titel des Buches „Die POUM in der spanischen Revolution“ verdeutlicht den Standpunkt des Autors. Schließlich ist es in der Linken bis heute heftig umstritten, ob die Ereignisse 1936/37 in Spanien als Revolution oder lediglich antifaschistischer Kampf zu verstehen sind.

 

Am 18. Juli 1936 löste der Militärputsch General Francos gegen die spanische Republik eine breite revolutionäre Erhebung in weiten Teilen des Landes aus. Industriebetriebe und Großgrundbesitz wurden kollektiviert und Arbeitermilizen gebildet. Träger des revolutionären Prozesses waren die in der syndikalistischen Gewerkschaft CNT organisierten Anarchisten, der linke Flügel der Sozialistischen Partei um den Gewerkschaftsführer Largo Caballero sowie insbesondere in Katalonien die POUM.

 

Die Kommunistische Partei erlangte erst analog zu den sowjetischen Waffenlieferungen ab September/Oktober Einfluß in der spanischen Arbeiterbewegung. Die Sowjetunion stellte politische Bedingungen zur Unterstützung des republikanischen Spaniens auf, die sie mit Hilfe des Geheimdienstes NKWD auch gewaltsam durchsetzte.

 

Das von Stalin erhoffte Bündnis mit den „demokratischen Imperialisten“ Frankreich und Großbritannien gegen das faschistische Deutschland sollte durch eine sozialistische Revolution in Spanien nicht gefährdet werden. In „brüderlichen Ratschlägen“ drängte Stalin den linkssozialistischen Ministerpräsidenten Caballero im Dezember 1936 auf einen parlamentarischen Weg im Bündnis mit der kleinen und mittleren Bourgeoisie. Da hierfür der Schutz vor Enteignungen notwendig sei, mußten die sozialen Errungenschaften der Juli-Tage rückgängig gemacht werden. Demgegenüber verstanden POUM und Anarchisten die Kriegsführung als Teil der Revolution. Arbeiter und Bauern würden erst bei der Verteidigung ihrer sozialen Eroberrungen einen Sinn ihres Kampfes sehen.

 

Die Revolution befand sich nach Einschätzung der POUM im Stadium der Doppelherrschaft zwischen einer republikanischen Regierung und den Komitees und Milizen der Arbeiter und Bauern. Nach Meinung der POUM sollten die Komitees zu einer Arbeiterregierung und die Milizen zu einer roten Armee erweitert werden. Die von den Arbeitern übernommen Betriebe sollten zusammengefaßt und unter die Kontrolle von Gewerkschaften und Betriebskomitees gestellt werden. Mit diesem an den Bolschewiki orientierten Programm grenzte sich die POUM sowohl von den Anarchisten ab, die alles der spontanen Entwicklung überlassen wollten, als auch von der Kommunistischen Partei, die im Rahmen der Volksfrontpolitik auf das Bündnis mit den linksbürgerlichen Republikanern setzte. 

 

Bis heute hält sich das Gerücht, die POUM wäre eine trotzkistische Partei. Die POUM war ein Zusammenschluß oppositioneller Kommunisten, die aus unterschiedlichen Gründen den Kurs der Kommunistischen Internationale ablehnten. Dabei waren auch ehemalige spanische Anhänger der „trotzkistischen“ Linken Opposition um Andre Nin. Als trotzkistisch verstand sich die POUM, die dem Londoner Büro linkssozialistischer Parteien mit der deutschen SAP und der britischen Independent Labour Partei angeschlossen war, zu keinem Zeitpunkt. Trotzki selber hatte die Gründung der Partei abgelehnt und seinen Anhängern den Eintritt in die Sozialistische Partei geraten, um dort die Radikalisierung des linken Flügels  voranzutreiben. Zu einer heftigen Polemik mit Trotzki kam es, als die POUM im Februar 1936 das Volksfrontbündnis zur Parlamentswahl unterstützte und sich Ende September mit ihrem Parteisekretär Andre Nin als Justizminister an der katalanischen Koalitionsregierung beteiligte. Tatsächlich gelang es der POUM nicht, ihre Regierungsbeteiligung zur Ausweitung der Arbeitermacht zu nutzten. Vielmehr wurden Komitees und Milizen aufgelöst und die POUM wieder aus der Regierung ausgeschlossen.

 

Während die mindestens 10.000 Milizionären POUM mit ihrer Lenin-Division an der Aragon-Front und anderen Kriegsschauplätzen einen hohen Blutzoll im Kampf gegen den Franco-Faschismus zahlten, lief der stalinistische Propagandaapparat im Hinterland auf Hochtouren. Analog zu den „Säuberungen“ in der Sowjetunion wurde die POUM in der kommunistischen Presse als „trotzkistisch-faschistische Verräter“ und fünfte Kolonne Francos diffamiert.

 

Auf die Hetze folgte die physische Unterdrückung. Am 16. Juni ließ ein kommunistisch geführtes Polizeikommando ohne Weisung des Innenministeriums die Parteiführung in Barcelona festnehmen. In der Folge wurden weitere rund 1000 Parteimitglieder verhaftet und etwa 50 ermordet. Spektakulärstes Opfer war Parteisekretär Nin, den ein Kommando des NKWD unter Führung Alexander Orlows nach seiner Verhaftung erschoß. Bis heute nicht geklärt ist, ob Orlow, der sich 1938 aus Angst vor dem stalinistischen Terror in die USA absetzte, auf Befehl Stalins oder aus eigenem Antrieb handelte.

 

Als im Oktober 1938 die militärische Lage für die Republik schon nahezu aussichtslos war, fand vor einem Sondergericht der Prozeß gegen Mitglieder des POUM-Führung statt. Die Partei wurde für aufgelöst erklärt und ihre Führung wegen des angeblichen Aufstands gegen die legale Regierung während der Mai-Tage 1936 in Barcelona zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Daß die Kämpfe erst durch den Angriff der kommunistisch geführten Polizei auf die gewerkschaftlich verwaltete Telefonzentrale ausgelöst wurden und Anarchisten den Hauptteil der Kämpfer stellten, ignorierte das Gericht. Ausdrücklich wurde die POUM dagegen vom Vorwurf der Zusammenarbeit mit Franco freigesprochen und den Angeklagten eine antifaschistische Gesinnung bescheinigt. Daß der Prozeß nicht das von seinen Initiatoren gewünschte Ergebnis brachte, war der Entschlossenheit der Angeklagten geschuldet, nicht zu gestehen. Gestärkt wurde diese Standhaftigkeit, für die Nin mit dem Leben bezahlt hatte, durch die Tatsache, daß ein großer Teil der spanischen Arbeiterbewegung sich trotz aller politischen Differenzen hinter die POUM stellte.

 

 

Zuzustimmen ist dem ehemaligen Führer der Jungkommunisten während des Bürgerkriegs und späteren Historikers der kommunistischen Bewegung Fernando Claudin: Durch „die Erfüllung der Direktiven Moskaus, Largo Caballero als Ministerpräsidenten zu entfernen und die Repression gegen die POUM zu entfesseln, übernahm die KP Spaniens Verantwortung für die Vertiefung der Spaltung in den Arbeitermassen und für die große Schwächung der Kampffähigkeit der Republik“.

 

Angesichts der wohl unvermeidlich wiederaufflammenden Debatten sei dieses Buch jedem an den Gründen der Niederlage des republikanischen Spanien Interessierten empfohlen. Seine Aktualität leitet sich nicht zuletzt aus den aktuellen Volksfrontdiskussionen um die Möglichkeiten sozialistischer Regierungsbeteiligungen ab.

 

Nick Brauns

 

 

Rainer Tosstorff: Die POUM in der spanischen Revolution, 180 Seiten, 17,80 €, ISBN 3-89-900-118-4, Neuer isp-Verlag Köln

 

 

gekürzt in der jungen Welt vom  21.08.2006 / Feuilleton / Seite 12

 erschienen:

 


Dazwischengeraten

Ein Buch über oppositionelle Kommunisten im spanischen Bürgerkrieg

Nick Brauns

George Orwells autobiographisches Buch »Mein Katalonien« und Ken Loachs Film »Land and Freedom« haben die Geschichte der oppositionell-kommunistischen »Arbeiterpartei der Marxistischen Einigung« (POUM) im spanischen Bürgerkrieg bekanntgemacht. Zum 70. Jahrestag des Bürgerkriegsausbruchs hat nun der Mainzer Historiker Reiner Tosstorff eine Monographie über die POUM vorgelegt. Vor 20 Jahren hatte Tosstorff mit seiner Dissertation die erste umfassende Untersuchung zur POUM veröffentlicht. Sie ist lange vergriffen. Der jetzt beim Neuen ISP-Verlag erschienene Band enhält eine Reihe von aktualisierten Aufsätzen der letzten Jahre und Auszüge aus der Dissertation. Neuere Forschungen nach Öffnung spanischer und sowjetischer Archive sind berücksichtigt.

Revolution oder nicht

Schon der Titel des Buches »Die POUM in der spanischen Revolu­tion« macht den Standpunkt des Autors klar. Schließlich ist es in der Linken bis heute heftig umstritten, ob die Ereignisse 1936/37 in Spanien als Revolution oder als antifaschistischer Kampf zu verstehen sind. Am 18. Juli 1936 löste der Militärputsch Francos gegen die spanische Republik eine breite revolutionäre Erhebung in weiten Teilen des Landes aus. Industriebetriebe und Großgrundbesitz wurden kollektiviert und Arbeitermilizen gebildet. Träger des revolutionären Prozesses waren die in der syndikalistischen Gewerkschaft CNT organisierten Anarchisten, der linke Flügel der Sozialistischen Partei um den Gewerkschaftsführer Largo Caballero sowie insbesondere in Katalonien die POUM.

Die Kommunistische Partei (KP) kam erst mit den sowjetischen Waffenlieferungen ab September/Oktober zu nennenswertem Einfluß in der spanischen Arbeiterbewegung. Die Sowjetunion stellte politische Bedingungen zur Unterstützung des republikanischen Spanien, die sie mit Hilfe des Geheimdienstes NKWD auch gewaltsam durchsetzte. Das von Stalin erhoffte Bündnis mit den »demokratischen Imperialisten« Frankreichs und Großbritanniens gegen das faschistische Deutschland sollte durch eine sozialistische Revolution in Spanien nicht gefährdet werden. Mit »brüderlichen Ratschlägen« drängte Stalin den linkssozialistischen Ministerpräsidenten Largo Caballero im Dezember 1936 auf einen parlamentarischen Weg im Bündnis mit der kleinen und mittleren Bourgeoisie. Da hierfür der Schutz vor Enteignungen notwendig sei, mußten die sozialen Errungenschaften der Juli-Tage rückgängig gemacht werden. Demgegenüber verstanden POUM und Anarchisten die Kriegsführung als Teil der Revolution. Arbeiter und Bauern würden erst bei der Verteidigung ihrer sozialen Eroberungen einen Sinn ihres Kampfes sehen.

Die Revolution befand sich nach Einschätzung der POUM im ­Stadium der Doppelherrschaft der republikanischen Regierung und der Komitees/Milizen der Arbeiter/Bauern. Nach Meinung der POUM sollten die Komitees zu einer Arbeiterregierung und die Milizen zu einer roten Armee erweitert werden. Die von den Arbeitern übernommenen Betriebe sollten zusammengefaßt und unter die Kontrolle von Gewerkschaften und Betriebskomitees gestellt werden. Mit diesem an den Bolschewiki orientierten Programm grenzte sich die POUM sowohl von den Anarchisten ab, die alles der spontanen Entwicklung überlassen wollten, als auch von der KP, die im Rahmen der Volksfrontpolitik auf das Bündnis mit den linksbürgerlichen Republikanern setzte.

Weil sich das Gerücht bis heute hält: Als trotzkistisch verstand sich die POUM, die dem Londoner Büro linkssozialistischer Parteien mit der deutschen SAP und der britischen Independent Labour Partei angeschlossen war, zu keinem Zeitpunkt. Trotzki selber hatte die Gründung der Partei abgelehnt und seinen Anhängern den Eintritt in die Sozialistische Partei geraten, um dort die Radikalisierung des linken Flügels voranzutreiben. Die POUM war ein Zusammenschluß oppositioneller Kommunisten, die aus unterschiedlichen Gründen den Kurs der Kommunistischen Internationale ablehnten. Dabei waren auch ehemalige spanische Anhänger der »trotzkistischen« Linken Opposition um Andre Nin.

Spaltung vertieft

Während die mindestens 10000 Milizionäre der POUM mit ihrer Lenin-Division an der Aragon-Front und anderen Kriegsschauplätzen einen hohen Blutzoll im Kampf gegen den Franco-Faschismus zahlten, wurde die POUM in der kommunistischen Presse als fünfte Kolonne Francos diffamiert. Am 16. Juni 1937 ließ ein kommunistisch geführtes Polizeikommando ohne Weisung des Innenministeriums die Parteiführung in Barcelona festnehmen. In der Folge wurden rund 1 000 Parteimitglieder verhaftet und etwa 50 ermordet. Spektakulärstes Opfer war Parteisekretär Nin, den ein Kommando des NKWD unter Führung Alexander Orlows nach seiner Verhaftung erschoß. Bis heute nicht geklärt ist, ob Orlow, der sich 1938 in die USA absetzte, auf Befehl Stalins oder aus eigenem Antrieb handelte.

Als im Oktober 1938 die militärische Lage für die Republik schon nahezu aussichtslos war, fand vor einem Sondergericht der Prozeß gegen Mitglieder des POUM-Führung statt. Die Partei wurde für aufgelöst erklärt und ihre Führung wegen des angeblichen Aufstands gegen die legale Regierung während der Mai-Tage 1937 in Barcelona zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Daß die Kämpfe erst durch den Angriff der kommunistisch geführten Polizei auf die gewerkschaftlich verwaltete Telefonzentrale ausgelöst wurden und Anarchisten den Hauptteil der Kämpfer stellten, ignorierte das Gericht. Ausdrücklich wurde die POUM vom Vorwurf der Zusammenarbeit mit Franco freigesprochen und den Angeklagten eine antifaschistische Gesinnung bescheinigt.

Zuzustimmen ist Fernando Claudin, während des Bürgerkriegs Führer der Jungkommunisten und später Historiker der kommunistischen Bewegung: Durch »die Erfüllung der Direktiven Moskaus, Largo Caballero als Ministerpräsidenten zu entfernen und die Repressionen gegen die POUM zu entfesseln, übernahm die KP Spaniens Verantwortung für die Vertiefung der Spaltung in den Arbeitermassen und für die große Schwächung der Kampffähigkeit der Republik«. Jedem an den Gründen der Niederlage des republikanischen Spanien Interessierten sei dieses Buch empfohlen. Seine Aktualität garantieren nicht zuletzt die aktuellen Diskussionen um sozialistische Regierungsbeteiligungen.