„Hauptfeind der inneren Sicherheit“

Die Verfolgung der kurdischen Befreiungsbewegung in Deutschland

 

Vor 15 Jahren begann vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht der größte Terrorismusprozess in der Geschichte der Bundesrepublik. Mit Hilfe der politischen Justiz in Deutschland sollte die kurdische Befreiungsbewegung als terroristisch kriminalisiert werden. Seit Beginn des bewaffneten Kampfes in Kurdistan im Sommer 1984 hatten NATO-Geheimdienste in Europa eine Counter-Insurgency-Kampagne (Aufstandsbekämpfungskampagne) gestartet. So stellte sich ein der PKK angelasteter Anschlag auf das türkische Konsulat in Hamburg als Inszenierung des türkischen Geheimdienstes heraus. Generalbundesanwalt Rebmann, der mit Vertretern der türkischen Militärdiktatur eine enge Zusammenarbeit gegen den internationalen Terrorismus vereinbart hatte, erklärte die Kurdische Arbeiterpartei PKK zum „Hauptfeind der inneren Sicherheit“.

 

Massenschauprozess

 

Rund 20 kurdische Politiker wurden nach § 129 a angeklagt, Angehörige einer terroristischen Vereinigung innerhalb der PKK zur Liquidierung von Parteifeinden zu sein. In einem unterirdischen Gerichtssaal wurden die Angeklagten ab dem 24. Oktober 1989 in einem Plexiglaskäfig wie wilde Tiere präsentiert - in den Augen der Verteidiger die „hygienisch einwandfreie mitteleuropäische Variante der berüchtigten Massenschauprozesse türkischer Militärgerichte“. Gegen die Mehrzahl der Angeklagten musste das Verfahren „wegen Geringfügigkeit“ eingestellt werden. Aufgrund der Aussagen eines Kronzeugen wurden im März 1994 lediglich zwei Angeklagte zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt, zwei weitere Verurteilte kamen sofort frei, da ihre Strafen durch die Untersuchungshaft vergolten war. Der Versuch der Bundesanwaltschaft, die gesamte kurdische Befreiungsbewegung in einem Mammutschauprozess als Terroristen zu brandmarken, war jämmerlich gescheitert, doch die Bundesregierung hatte bereit zu einem neuen Schlag gegen die PKK ausgeholt.

 

Unter Verweis auf vorangegangene Anschlagswellen gegen türkische Reisebüros und Geschäfte, deren Urheberschaft der PKK niemals nachgewiesen wurde, verfügte Bundesinnenminister Manfred Kanther am 26. November 1993 das Betätigungsverbot der PKK und der Nationalen Befreiungsfront Kurdistans ERNK sowie die Auflösung des Berxwedan Verlags, des Kurdistan Komitees, der Nachrichtenagentur Kurd-Ha, der Föderation der patriotischen Arbeiter- und Kulturvereine aus Kurdistan sowie 29 örtlicher Vereine. „Die von Anhängern/Sympathisanten der PKK/ERNK begangenen Straftaten in Deutschland und in der Türkei mit dem Ziel, einen Teil des türkischen Staatsgebietes in einen noch zu gründenden kurdischen Staat zu überführen ... stören das friedliche Zusammenleben zwischen Kurden und Türken sowohl in der Türkei als auch in Deutschland ... „ hieß es in der Verbotsbegründung. So habe die türkische Regierung der Bundesregierung vorgeworfen, „die Propagandatätigkeit der PKK in einer für den Bestand des türkischen Staates lebenswichtigen Frage zu dulden und damit zur Destabilisierung in der Südostregion indirekt beizutragen“. Aktivitäten wie die auch in Deutschland durchgeführten Wahlen zu einem kurdischen Nationalparlament „schädigen bereits heute Deutschlands Ansehen in der Türkei und die bilateralen Beziehungen erheblich“. Mit keinem Wort ging der 53seitige Bescheid auf  das Verbot der kurdischen Sprache und Kultur, die Zerstörung von Dörfern, systematische Folter und Morde an kurdischen Politikern und Intellektuellen in der Türkei ein. Obwohl die PKK das Ziel eines eigenen kurdischen Staates zugunsten einer föderalen Lösung aufgegeben hatte, schloss sich das Bundesinnenministerium der Darstellung der türkischen Militärs von der „separatistischen“ und „terroristischen“ PKK an. 

 

Generalverdacht

 

Durch das von einer Hetzkampagne der Medien unterstützte PKK-Verbot wurden rund eine halbe Million Bürger kurdischer Abstammung in Deutschland unter Generalverdacht gestellt. Eine Vielzahl kurdischer Demonstrationen, Feste und selbst Fußballspiele wurden verboten, Hunderte Kulturvereine und Privatwohnungen gestürmt. Asylbewerber mit 40 Euro Taschengeld im Monat mussten hohe Geldstrafen zahlen, weil sie Öcalan hochleben ließen oder T-Shirts mit dem PKK-Emblem trugen. Herausgeber deutschsprachige Zeitschriften wurden verurteilt, wenn sie Erklärungen der PKK dokumentierten. Selbst ein Roman über den Guerillakampf wurde bundesweit beschlagnahmt.

 

Wie in der Türkei wurden 1994 die Feierlichkeiten zum Newrozfest am 21. März verboten. Anreisende Busse wurden noch auf der Autobahn gestoppt. Mit Autobahnblockaden versuchten die Insassen die Weiterfahrt zu erzwingen. In Mannheim protestierten zwei Kurdinnen mit Selbstverbrennungen gegen die Verbote. Sie blieben nicht die einzigen Todesopfer des PKK-Verbots in Deutschland.

 

Am 1. Juli 1994 erschoss in Hannover ein SEK-Beamter den Jugendlichen Halim Dener beim Kleben von ERNK-Plakaten. Der Schütze wurde vor Gericht freigesprochen. 1995 starb in Berlin eine hungerstreikende Kurdin nach einem Polizeieinsatz.

 

Weil sich die Losung „Politische und demokratische Lösung in Kurdistan“ positiv auf einen Waffenstillstand der PKK beziehe und eine Steuerung durch die PKK vermuten lasse, wurde eine für den 12. März 1996 in Dortmund geplante Großdemonstration verboten. Nordrheinwestfalen wurde polizeilich abgeriegelt, ausländisch aussehende Menschen am Aussteigen aus Zügen gehindert und Fahrzeuge mit kurdischen Insassen durch Farbkreuze kenntlich gemacht. An mehreren Orten kam es zu Straßenschlachten mit der Polizei. 

 

Außenminister Kinkel behauptete, der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan habe einen Mordbefehl gegen ihn in Auftrag gegeben und die Boulevardpresse wusste sogar von Mordplänen gegen Rennfahrer Michael Schumacher. In Interviews erklärte Öcalan diese Drohungen für frei erfunden und distanzierte sich von Gewaltakten in Deutschland.

 

Terrorismuskeule

 

Während Vereins- und Demoverbote mit Verstößen gegen § 20 des Vereinsgesetzes begründet wurden, schwang die Bundesanwaltschaft gegen PKK-Führungskader die Terrorismuskeule. Eine „europäische Frontzentrale“ sei für Anschläge und Bestrafungen von Dissidenten verantwortlich. Dutzende kurdische Politiker wurden nach § 129 a angeklagt und zum Teil zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Auch der 1994 nach einer Einladung ins britische Oberhaus auf den Stufen des Parlaments in London verhaftete ERNK-Europasprecher Kani Yilmaz wurde an Deutschland ausgeliefert. Dass der Terrorismusvorwurf fallengelassen wurde und Yilmaz am 11. Februar 1998 das Oberlandesgericht Celle als freier Mann verließ, war ein großer Erfolg seiner mit einer politischen Verteidigung verbundenen Aussageverweigerung und einer internationalen Solidaritätskampagne. Fortan galten die Führungskader der PKK nur noch als „kriminelle Vereinigung“. 

 

Als Öcalan am 15. Februar 1999 in einem Komplott türkischer, US-amerikanischer und israelischer Geheimdienste aus Kenia in die Türkei verschleppt wurde, protestieren Tausende Kurden mit Besetzungen von Parteibüros und Botschaften. In Berlin erschossen israelische Sicherheitskräfte vier Kurden, als Demonstranten versuchten, das israelische Generalkonsulat zu besetzen.

 

Neue Prozesswelle

 

Obwohl es nach der Verschleppung Öcalans zu keinen weiteren Gewaltaktionen kam und die PKK das Ende des bewaffneten Kampfes  verkündete, ging die Verfolgung politisch aktiver Kurden kaum zurück. Der Rechtshilfefonds AZADI zählte alleine zwischen Oktober 1999 und Oktober 2000 175 Razzien, 11 Verhaftungen und 71 Festnahmen sowie 45 kurdische politische Gefangene in deutschen Gefängnissen.

 

1992 unterschrieben in Deutschland 40.000 Kurden die Erklärung „Auch ich bin PKKler“, in der sie sich zu den Friedensvorschlägen Öcalans bekannten. Die Staatsanwaltschaft reagierte mit einer erneuten Prozesswelle.  Zu einer Geldbuße wurde auch der Anwalt Jürgen Schneider verurteilt, weil er Kurden als Rechtsbeistand bei der Übergabe der Unterschriftenlisten begleitete.

 

Nach den Anschlägen vom 11. September weitete die EU ihre Liste terroristischer Organisationen auf die PKK und im April 2004 auch auf den ausschließlich politisch agierenden Volkskongress Kurdistans Kongra-Gel aus. Damit wurde die kurdische Befreiungsbewegung auch in Ländern kriminalisiert, in denen sie bisher legal agieren konnte.

 

Der unter anderem vom nordrheinwestfälischen Verfassungsschutz anerkannte Gewaltverzicht des Kongra-Gel sowie die Solidarisierung von Teilen der demokratischen Öffentlichkeit haben inzwischen zu einer gewissen Duldung kurdischer Aktivitäten bis hin zu Großdemonstrationen und Festivals in Deutschland geführt – immer unter dem Damoklesschwert des PKK-Verbots! Eine vollständige Aufhebung des Verbots erscheint momentan unwahrscheinlich, da der Affront gegenüber dem NATO-Partner Türkei zu groß wäre. Eine Richtungsänderung  der deutschen Politik gegenüber den Kurden ist somit eng mit der Lösung der kurdischen Frage in der Türkei verbunden.

 

Nick Brauns