22.03.2005 / Titel / Seite 1

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Kurden fordern ihr Recht

Trotz Polizei und Armee: Newroz-Großkundgebungen in der gesamten Türkei für eine Lösung der kurdischen Frage. Kritik an Ankara und Brüssel

Nick Brauns, Sirnak

Newroz, das kurdische Neujahrsfest, lebt. Allein in Diyarbakir, der einstmals auch als »heimliche Hauptstadt Kurdistans« bezeichneten Metropole im Südosten der Türkei, versammelten sich eine Million Menschen am gestrigen 21. März, dem traditionellen Neujahrsbeginn in der Region. Über Jahrzehnte hatten die türkischen Regierungen und Militärjuntas das Fest als separatistische Veranstaltung verboten: Die trotzdem durchgeführten Kundgebungen waren durchweg massiver Staatsgewalt ausgesetzt. In diesem Jahr zogen zwar immer noch hochgerüstete Heere von Polizei und Armee verschiedenenorts in der gesamten Türkei auf, und es kam auch zu Übergriffen und Verhaftungen; indes blieben die meisten Massentreffen von den Uniformierten unbehelligt.

Die Forderung nach einem Ende »aller Gewalt« sowie der »Diskriminierung der kurdischen Bevölkerung« in der Türkei stand im Mittelpunkt von Newroz 2005. Sie richtete sich vorrangig an die Adresse von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Von diesem verlangte unter anderem Leyla Zana, er solle die »kurdische Frage« endlich wahrnehmen. »Der türkische Premier behauptet, es gebe keine Folter; derweil werden unsere Frauen auf offener Straße gefoltert.« Die ehemalige Parlamentsabgeordnete und langjährig Inhaftierte hatte die rund 100 000 Menschen auf dem Newroz-Fest in Sanliurfa in der immer noch offiziell verdächtigen kurdischen Sprache begrüßt.

Vielerorts standen die Newroz-Feiern im Zeichen der »demokratischen kurdischen Emanzipationsbestrebungen«, so ein Aufruf zur Teilnahme an den Veranstaltungen in Kurdistan. Längst überfällig sei, angesichts Ankaras EU-Beitrittsbemühungen die kurdische »Agenda endlich auf die Tagesordnung Europas und der Türkei« zu setzen. Dabei klang bei manchem Redner große Hoffnung in die EU an: Diese werde entscheidend zur einer Lösung der kurdischen Frage beitragen. Auch wurde manchenorts Kurden und Arabern in Irak zu ihrer »demokratischen Willensäußerung« bei der von den USA-Besatzern angeordneten »Wahl« gratuliert.

Die Freilassung des auf der Gefängnisinsel Imrali seit über sechs Jahren isolierten Ex-PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan spielte auf den meisten Newroz-Veranstaltungen eine Rolle. Porträts des »Serop Apo« (Führer Apo) wurden ebenso wie PKK-Fahnen gezeigt. Zu Polizeiübergriffen kam es nach der Feier in Mersin. In Sirnak, wo erst vor wenigen Wochen fünf Jugendliche von Militärs zu Tode gefoltert worden waren, versammelten sich trotz massiver Einschüchterungen über 10 000 Menschen. Panzerwagen mit maskierten MG-Schützen waren um den Festplatz herum postiert, Scharfschützen auf den Dächern der umliegenden Häuser plaziert. »Laßt uns die Reihen enger schließen, damit der Krieg keine Chance hat«, forderte Musa Farizoglu von der Zentrale der legalen kurdischen Demokratiepartei des Volkes (DEHAP). In Van feierten 250 000, in Urfa und Mardin jeweils bis zu 100 000 Menschen. Auch außerhalb der kurdischen Gebiete, wie bereits am Sonntag in Istanbul und Ankara, gab es Demonstrationen für eine »demokratische Föderation von Kurden und Türken«.