"Seid Euch bewußt der Macht!"

Zum 40.Todestag von Johannes R. Becher am 11.10.1998

 

Er war ein unbequemer Mensch gewesen, der Johannes R. Becher. An dem "Dichterfunktionär" und späteren Kultusminister der DDR scheiden sich noch zu seinem 40.Todestag die Geister.  Eine für die "Einheitsfeierlichkeiten" am 3.Oktober geplante Mixtur des Deutschlandliedes mit der DDR-Nationalhymne "Auferstanden aus Ruinen" sorgt für Unmut. Die Becher-Hymne stehe für die Spaltung Deutschlands, tönt der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber, der deswegen zum Boykott der Feier aufrief. Offensichtlich kennt Stoiber nicht einmal den Text der DDR-Hymne. "Deutschland einig Vaterland" wird dort beschworen. Diese Zeile war Grund genug für Honecker und Genossen, bei offiziellen Anlässen die Hymne nur noch ohne Text abzuspielen. Im Gegensatz zum bayerischen Separatisten Edmund Stoiber war Johannes R. Becher zeitlebens deutscher Patriot.  Mit der Losung "Deutsche an einen Tisch" kämpfte er gegen die Spaltung der Nation durch den Adenauer-Staat. Der Literaturwissenschaftler Hans Mayer bezeugt, daß Becher sich 1948 sogar weigerte, eine deutsche Delegation auf dem "Internationalen Kongreß der Intellektuellen zur Verteidigung der Kultur" in Breslau anzuführen. Der Grund: Becher wollte zu diesem Zeitpunkt kein polnisches Breslau, keine Oder-Neiße-Grenze akzeptieren!

Geboren wurde Johannes Robert Becher am 22.Mai 1891 in München. Prägend war der Konflikt mit dem konservativen Vater, einem Oberlandgerichtspräsidenten. "Der Vater behandelte mich immer als den Angeklagten - von Kindheit auf war ich angeklagt und hatte den Vater als Richter vor mir, der mich ununterbrochen schuldig sprach und ein Urteil nach dem anderen fällte." Der junge Becher treibt sich in der Münchner Bohéme herum, schreibt expressionistische Lyrik am laufenden Band und verfällt dem Morphium. Zur Katastrophe kommt es, als der Gymnasiast 1909 beim Versuch eines Doppelselbstmordes seine Geliebte, die 26jährige Zigarettenverkäuferin Franziska Fuß erschießt. Der Vater muß seinen Einfluß spielen lassen, um eine Mordklage gegen Becher zu verhindern.

Überschwenglich begrüßt Becher als erster deutscher Dichter die russische Revolution: "Augen zu: Laßt Guillotinen spielen! / Menschenknäuel übern Platz gefegt - / Daß die Strahlen eurer Finger zielen / Durch den Raum ins Herz der Kaiser schräg!!" Er schließt sich der USPD und dem Spartakusbund an. In einem späteren Lebenslauf charakterisiert Becher diese Phase als "pazifistisch-defätistischen Kampf gegen den imperialistischen Krieg". Enttäuscht vom Scheitern der deutschen Novemberrevolution entfernt sich der Gefühlssozialist Becher wieder von der Arbeiterbewegung, es folgt eine Phase überschwenglicher Religiosität und Gottsucherei. Erst 1923 schließt er sich wieder der KPD an. "Mein Leben hat, was Freunde und Bekannte anbetrifft, eine vollständige Wendung genommen. Das Caféhaus ist vorbei, die lustige Künstlerei und Schwabingerei ist vorüber. Ich habe jede Minute zu tun. Ich habe zu funktionieren." Die straffe Organisation der KPD und die strenge Wissenschaft des Marxismus sind für Becher der Halt gegen einen Rückfall in das Chaos des Bohèmelebens, der Drogensucht und des Expressionismus. "Ich sage nicht: Ich habe mich in meiner Substanz geändert. Diese Triebe aber, die sich früher völlig anarchistisch austobten, sie haben sich anderen Kräften untergeordnet, und so beherrscht sind sie weder für mich noch für andere gefährlich," bekennt der Dichter. Von nun an sollte Becher als Kulturfunktionär und "Ingenieur der menschliche Seele" der Partei der Arbeiterklasse treu bleiben. Als Auftragswerk für die Partei entsteht der Antikriegsroman "Lewisite".  Ein erst durch eine Amnestie beendeter Hochverratsprozeß ist die Folge. 1928 ist Becher Mitbegründer und erster Vorsitzender des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller. Er kommt ins Präsidium der Internationalen Vereinigung der Revolutionären Schriftsteller, wird Feuilletonredakteur der KPD-Parteizeitung Rote Fahne und tritt als Reichstagskandidat bei der letzten Wahl vor der nationalsozialistischen Machtübernahme an.

1933 geht Becher in die Emigration und findet Aufnahme in der Sowjetunion. Der Dichter ist innerlich zerrissen: "Wie zwei Welten standen sich die Größe und das Entsetzliche entgegen." Ihn erfüllt große Dankbarkeit für das Asyl und Bewunderung für die Errungenschaften des sozialistischen Aufbaus. Doch die Schrecken der Stalinschen Säuberungen, denen auch deutsche Kommunisten in der Emigration zu Opfer fallen und die Moskauer Prozesse pägen Becher tief.  "War unsre nicht die größte der Epochen? / Und wessen Tür wird heute nach erbrochen? / So lebten wir in Licht und Finsternis" beschreibt Becher die Zeit der Emigration in einem Gedicht, daß erst lange nach seinem Tod veröffentlicht wurde. Nur der besonderen Protektion durch Walter Ulbricht verdankt Becher, nicht selber in das Räderwerk der Säuberungen zu geraten. Es war nicht nur die Angst, die Becher Lobeshymnen auf Stalin schreiben läßt. Die Verehrung für diesen "Mann, der Deutschland liebt" war echt. Das bekennt der Dichter nach den Enthüllungen auf dem XX.Parteitag der KPdSU: "Diesen Mann habe ich damals verehrt, wie keinen unter den Lebenden. ... Das mag auch verständlich sein, da er uns von einem heimtückischen Gegner befreit hat, der sich einen Deutschen nannte und der in seiner Person das ganze Unheil Deutschlands in sich vereinigte. Aber ebenfalls möchte ich nicht verschweigen, daß in demselben Maße, wie ich Stalin verehrte und liebte, ich von Grauen ergriffen worden bin angesichts gewisser Vorgänge, die ich in der Sowjetunion erleben mußte. ... Beides, die Verehrung zu diesem Mann und das Entsetzen vor dem Grauen, hat sich in meiner Dichtung ausgedrückt, wobei ich das eine nicht in Zusammenhang brachte mit dem anderen." Diese und weitere Absätze aus dem vierten Band seiner "Bemühungen" 1956 fallen Bechers Selbstzensur zu Opfer und werden erst 1988 in "Sinn und Form" veröffentlicht.

Als Funktionär des "Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands" und erster Kultusminister der DDR war Becher ein "Glücksfall", so Hans Mayer. Als Parteifunktionär und Mitglied des Zentralkomitees der SED ist Becher unter Beschuß geraten. Sein Schweigen bei der Verurteilung des Aufbau-Lektors Walter Janka und anderer kommunistischer Intellektueller als "Konterrevolutionäre" wird ihm vorgeworfen. Dabei plante Becher 1956 kurz vor der sowjetischen Intervention noch selber eine Rettungsaktion für seinen Freund Georg Lukács in Ungarn, die dann durch das Eingreifen Ulbrichts vereitelt worden. Als Janka unter anderem deswegen angeklagt wurde, schwieg der Minister. Die alte - aus seiner wilden Jugend mitgeschleppte - Angst vor Unruhe und Chaos lähmt Becher. Die Erfahrungen der Aufstände 1953 in der DDR und 1956 in Ungarn ließen ihn erkennen: "Zu diesem Grundirrtum gehört auch die Ansicht, daß der Sozialismus oder auch der Kommunismus Veränderungen revolutionärer Art vornherein ausschließe und Meinungsverschiedenheiten nur in akademischer Form ausgetragen würden. Dem scheint keineswegs so. Es kann sich auch in unserem Gesellschaftssystem die Möglichkeit einer Entartung ergeben und die Notwendigkeit, diese zu beseitigen, gegebenenfalls unter Anwendung von Druckmitteln." Diese Zeilen verschwanden in Bechers Schreibtischschublade. Bekannter sind seine Verse, mit denen er eine schonungslose Selbstkritik auf der 33. Tagung des ZK der SED 1957 abschloß: "Seht, Großes wird vollbracht! / Das Volk schafft sich sein Leben. / Und war der Weg auch schwer, / Ein Jubel sich erhebt. / Seid Euch bewußt der Macht! / Daß ihr sie nie, nie mehr  / Aus euren Händen gebt."

 

Nick Brauns