Schloss unter Feuer

Die Berliner Weihnachtskämpfe 1918 führten zum Bruch der Reichsregierung

Auf dem Mitte Dezember 1918 in Berlin tagenden Reichsrätekongress hatten sich die revolutionären Soldaten in der Militärfrage gegen die rechtssozialdemokratische Mehrheit durchgesetzt. Es war beschlossen worden, die Kommandogewalt über die Truppe der Kontrolle des Vollszugsrates der Arbeiter- und Soldatenräte zu unterstellen. Die Soldaten sollten fortan ihre Führer selber wählen und das stehende Heer zugunsten einer Miliz abgeschafft werden. Angesichts dieser drohenden Entmachtung des preußisch-deutschen Militarismus forderte Generalleutnant Wilhelm Groener von der Obersten Heeresleitung entsprechend dem mit dem sozialdemokratischen Regierungschef Friedrich Ebert geschlossenen geheimen Pakt, die Zerschlagung der revolutionären Truppenteile. Dies galt insbesondere für die aus rund 3200 ehemaligen Matrosen gebildeten Volksmarinedivision, die in Berlin den Schutz öffentlicher Gebäude wie der Reichskanzlei übernommen hatte. Zwar hatte sich die Truppe zur Regierung der Volksbeauftragten bekannt, aber mit der entscheidenden Einschränkung: "als der Regierung die auf ihrem Programm die sozialistische Republik stehen hat". Unter ihrem politischen Führer Leutnant Heinrich Dorrenbach, einem linken Sozialdemokraten mit guten Kontakten zu Karl Liebknecht, unterstellten sich die Matrosen Polizeichef Emil Eichhorn von der Unabhängigen Sozialdemokratie (USPD).

Um einen Vorwand zur Zerschlagung der in ihren Augen unzuverlässigen Truppe zu finden, bereite die Ebert-Regierung ein Komplott vor. Die Volksmarinedivision würde das Berliner Stadtschloss ausrauben, hieß es in einer Pressekampagne, obwohl die Matrosen das Schloss am 15. November auf Befehl der Regierung zum Schutz vor Plünderungen übernommen hatten. Der sozialdemokratische Stadtkommandant Otto Wels verweigerte den Matrosen die Auszahlung ihres fälligen Solds, wenn sie nicht sofort das Schloss räumten, ihre Truppenstärke auf 600 Mann reduzierten und sich seinem Kommando unterstellten. Die Matrosen waren zum Kompromiß bereit und übergaben die Schloßschlüssel, doch Wels verweigerte weiterhin die Auszahlung des Geldes. Stattdessen wurde die vor der Stadtkommandantur auf ihre Löhnung wartenden Matrosen am Nachmittag des 23. Dezember aus einem Panzerwagen von Regierungstruppen beschossen und drei von ihnen getötet. Nachdem die Matrosen die Kommandantur stürmten und Wels sowie zwei seiner Mitarbeiter als Geiseln nahmen, versicherte ihnen Friedrich Ebert, die die Differenzen am folgenden Tage in einer Kabinettssitzung friedlich beizulegen. Dies war eine Finte, denn unter Umgehung der USPD-Regierungsmitglieder ließ Ebert Gardetruppen des Generals Lequis aufmarschieren.

Am Morgen des 24. Dezember übermittelte ein Leutnant ein Ultimatum, wonach sich alle Matrosen innerhalb von zehn Minuten unbewaffnet auf dem Schloßplatz zu ergeben hätten. Auf die von Ebert versprochene friedliche Beilegung des Konfliktes bauend waren die meisten Matrosen zu Weihnachten zu ihren Familien gegangen waren, so dass sich im Schoss nur 28 und im Marstall 75 Matrosen befanden. Diese beschlossen, sich bis auf den letzten Mann zu verteidigen. Nun begann der stundenlange Artilleriebeschuß des Schlosses. Militärisch schien die Lage für die Matrosen, die sich mit Karabinern und Maschinengewehren gegen 1800 schwer bewaffnete Soldaten verteidigten, aussichtslos. Doch inzwischen hatte der Spartakusbund und die in den Großbetrieben verankerten Revolutionären Obleute Tausende Arbeiter aus den proletarischen Stadtvierteln im Osten und Norden in die Innenstadt mobilisiert. Auch Matrosen, die sich bei ihren Familien befunden hatten und die Sicherheitswehr des Polizeipräsidenten Eichhorn durchbrachen die Absperrungen und fielen den Gardetruppen in den Rücken. Arbeiterfrauen klärten die Belagerer über die Schändlichkeit ihres Tuns auf. Der Redakteur der USPD-Zeitung "Freiheit" Paul Schwenk berichtete: "Hintenherum kamen wir zum Werderschen Markt. Wir gingen an das Geschütz, das dort stand. Ein Leutnant und drei oder vier Bedienungsmann waren dabei. Wir sagten: `Was macht ihr denn! Ihr schießt doch auf eure Kameraden.Ž Die Soldaten wurden unsicher. Der Leutnant wurde blaß. Wir redeten weiter auf sie ein und setzten ihnen auseinander, worum es ging. Als der Leutnant merkte, daß die Männer nicht mehr mitmachen wollten, sagte er: `Macht, was ihr wolltŽ, und ging weg.” Schließlich brach der Zusammenhalt der Belagerer völlig zusammen. Die Soldaten warfen ihre Waffen weg oder wurden von den Arbeitern entwaffnet. Gegen Mittag hatten Matrosen und Arbeiter einen Sieg errungen. Der Kampf hatte auf ihrer Seite 11 und bei den Gardetruppen 56 Tote gefordert. Die Volksmarinedivision erhielt ihren Sold und eine vollständige Amnestie, dafür räumte sie das Schloss, ließen sich in die sozialdemokratisch geführte Republikanische Soldatenwehr eingliedern und sicherten zu, keine bewaffneten Aktionen mehr gegen die Regierung zu unternehmen.

Der Überfall auf die Volksmarienedivision löste in Berlin, Leipzig, Hamburg und anderen Städten massive Proteste der revolutionären Arbeiterschaft aus. Die Redaktion des SPD-Organs Vorwärts wurde vorübergehend besetzt und ein "Roter Vorwärts" klärte über die Hintergründe des Weihnachtsmassakers auf. Unter den Rufen "Als Matrosenmörder klagen wir an: Ebert, Landsberg und Scheidemann" beteiligten sich am 29.Dezember Hunderttausende an der Beerdigung der getöteten Matrosen auf dem Frriedhof der Märzgefallenen" von 1848 in Berlin-Friedrichshain. Der Druck auf die drei USPD-Volksbeauftragen Hugo Haase, Wilhelm Dittmann und Emil Barth war nun so stark, dass diese ihren Austritt aus der Regierung erklären mussten. "Das Blutbad vom 24. Dezember 1918 ist dadurch verschuldet, daß die Volksbeauftragten Ebert, Scheidemann, Landsberg dem Kriegsminister den unbegrenzten Auftrag zu militärischer Gewaltanwendung gegeben haben", hieß in der Rücktrittserklärung, "Wir können es nicht verantworten, daß einem Vertreter des alten Gewaltsystems die Verfügung über das Leben der Mitmenschen nach seinem Belieben übertragen wird. Der Weg der Verhandlungen, der schließlich zum Ziel geführt hat, hätte in keinem Stadium verlassen werden dürfen."

Ebert ernannte nun den Sozialdemokraten Gustav Noske zum neuen Volksbeauftragten für Heer und Marine und unterstellte ihm auch die eilig gebildeten rechtsextremen Freikorpsverbände. "Am 29. hat dann Ebert Noske herangerufen, um die Truppen gegen die Spartakisten zu führen. Am 29. sammelten sich die Freiwilligenverbände, und nun konnte der Kampf vor sich gehen", schrieb Generalleutnant Groener später.

 

Quellentext:

"Unser Platz ist auf Seiten der Arbeiter"

Aus den Schilderungen des Matrosen Franz Beiersdorf, Mitglied des Spartakusbundes

"Morgen ist Weihnachten, denke ich, und will schon losgehen, als drei Kuriere fast gleichzeitig melden, daß die Lequis-Truppen ... Angriffsvorbereitungen treffen. Also bleibe ich und beziehe meinen Posten am Maschinengewehr rechts vom Portal am Begasbrunnen ... Noch ist alles still ... Gegen 8 Uhr erscheint eine Patrouille der anrückenden Truppen ... Einer der Soldaten schwenkt ein weißes Taschentuch. Sie stehen am Begasbrunnen und verhandeln mit Dorrenbach. Er soll den Auftrag überbringen, daß Schloß und Marstall binnen zehn Minuten geräumt werden müssen ... Franz König, ... der wegen seiner gewaltigen Körperkraft berühmt war ..., schaut dem Offizier ins Gesicht und meint dann, einen Priem auf die andere Backe schiebend: `Ihr brugt bloß wat to seggen, gleich schieten wir uns in die Büchs. ... Paul Schulz sagt: `Wir lehnen das Ultimatum ab. Unser Platz ist auf Seiten der Arbeiter ... Der Offizier und seine Mannen machen kehrt und verschwinden ... Plötzlich donnert ein Schuß los, und einen Meter vor dem Begasbrunnen schlägt es ins Pflaster ein. Ich vermute, daß sie ein Geschütz in der Französischen Straße aufgestellt haben ... Es ballert jetzt von allen Seiten. Ein Stoßtrupp der Regierungstruppen pirscht sich in die Französische Straße entlang und versucht, das rote Schloß zu erreichen, um uns von dort aus zu beharken ... Rasend mähen unsere MGs. Drüben zieht sich der Stoßtrupp schnell zurück, wobei er einen Mann verliert ... Schon naht wieder ein Trupp von der Gertraudenstraße, die Breite Straße hoch. Sie haben die Stahlhelme tief ins Gesicht gezogen und schleichen an den Häusern entlang... Wütend donnert ihre Artillerie. Jetzt hören wir die Einschläge hinter uns ... Schloß und Marstall sind feuerspeiende Festungen geworden. Jedesmal, wenn sich ein Trupp formiert, um sich dem Kampfplatz zu nähern, empfängt ihn rasendes Feuer. Wir sind uns aber auch klar, daß, wenn wir völlig umzingelt werden und verstärkt Artillerie eingesetzt wird, wir uns nicht lange halten können."

(Illustrierte Geschichte der deutschen Novemberrevolution 1918/1919, Berlin 1978, S.251f.)