Störfeuer gegen internationale Solidarität

Geheimdienstbroschüre zeichnet Zerrbild von der kurdischen Freiheitsbewegung – im Fadenkreuz steht die Zusammenarbeit kurdischer und deutscher Linker

 

·          NICK BRAUNS

 

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat im Februar eine neue Broschüre über die „Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)“ vorgelegt. „Neben der Ideologie und den Zielen der „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) wird in dieser Broschüre der historische Hintergrund des Kurdenkonflikts beleuchtet“, verspricht der Verfassungsschutz.

Richtig nennt die Broschüre zwar die Teilung der kurdischen Siedlungsgebiete nach dem Friedensvertrag von Lausanne 1923 und die von Mustafa Kemal in der Türkei betriebene Politik der Verleugnung kurdischer Existenz als Ursachen des sogenannten „Kurdenkonfliktes“. Doch zur Gegenwart heißt es lapidar: „Trotz einiger Zugeständnisse von türkischer Seite – überwiegend im kulturellen Bereich – bietet der Kurdenkonflikt noch immer einen ergiebigen Nährboden für extremistische und terroristische Bestrebungen.“ Mit keinem Wort geht die Broschüre auf die Zerstörung ganzer Stadtviertel durch das Militär, die Inhaftierung Tausender Mitglieder der legalen HDP, die Ersetzung von rund 100 gewählten kurdischen Bürgermeistern durch Zwangsverwalter unter der AKP-MHP-Kriegsallianz in den letzten drei Jahren ein. Schuld an der Gewalt erscheint so einzig die kurdische Befreiungsbewegung, deren Widerstand gegen den türkischen Kolonialismus als „Terrorismus“ diffamiert wird.

Abstrus wird es bei der Darstellung der gegenwärtigen Ideologie und Ziele der PKK. „Heutzutage werden Attraktivität und Erfolg der PKK hauptsächlich durch Elemente getragen, die vom Islam, diversen Stammes- und Clanstrukturen sowie strengen Wert-, Moral- und Ehrvorstellungen abgeleitet sind“, heißt es allen Ernstes. Wie sich diese Darstellung mit der einige Zeilen weiter erhobenen richtigen Feststellung verträgt, ein Hauptgegner der PKK seien weiterhin kurdische „feudale Kollaborateure“ des türkischen Staates, bleib das Geheimnis der Autoren. Die Zentralität des Kampfes um die Befreiung der Frau und Gleichstellung der Geschlechter in der Theorie und Praxis der PKK findet in der Broschüre keine Erwähnung. Dabei richtet sich gerade der Frauenkampf mit seiner Losung „Wir sind niemandes Ehre – unsere Ehre ist unsere Freiheit“ direkt gegen patriarchale Ehrvorstellungen und feudalen Werte.

Verfälscht wird auch die Geschichte. „Unter dem Druck eines drohenden Todesurteils nahm Öcalan mit einem zweiten Manifest Abstand von der Bildung eines eigenständigen Kurdenstaates mit Hilfe des bewaffneten Kampfes“, behauptet die Broschüre einen vermeintlichen Gesinnungswandel des PKK-Vordenkers nach seiner Verschleppung. In Wahrheit hatte Abdullah Öcalan bereits anlässlich des ersten Waffenstillstandes 1993 eine türkisch-kurdische Föderation anstelle eines unabhängigen kurdischen Staates vorgeschlagen. Und im Dezember 1998 in Rom forderte Öcalan bereits zwei Monate vor seiner Verschleppung das Ende des bewaffneten Kampfes, um einer politischen Lösung den Weg zu bereiten.

„Es ist wahrscheinlich, dass die PKK noch immer die Gründung eines eigenen Staates anstrebt, dies aktuell jedoch aus taktischen Gründen nicht offensiv vorantreibt“, behaupten die Verfassungsschützer ohne jeden Beleg. Dass Öcalan in seinen Gefängnisschriften vor einer „Nationalismusfalle“ warnt und erklärt, dass „für die Kurden die Gründung eines getrennten kurdischen Nationalstaates keinen Sinn macht“, weil ein weiterer Staat „lediglich zusätzliche Ungerechtigkeit schaffen und das Recht auf Freiheit noch weiter einschränken“ würde, unterschlagen die Verfassungsschutzautoren.

Man könnte den Agenten des bundesdeutschen Inlandsgeheimdienstes, deren Aufgabe ja gerade in der Verteidigung eines Staates besteht, schlicht Unkenntnis und Unverständnis der antistaatlichen Programmatik der PKK vorwerfen. Doch der Geheimdienst ist nicht so dumm, er verfolgt vielmehr mit dieser Broschüre klare Ziele. Es geht ihm um die Diffamierung der kurdischen Freiheitsbewegung, die aufgrund der Erfolge im Kampf gegen die Terrorgruppe Islamischer Staat und beim Aufbau der autonomen Selbstverwaltung von Nordsyrien in den Augen demokratisch und fortschrittlich gesinnter Menschen deutlich an Sympathie gewinnen konnte. Gegen das medial verbreitete Bild der selbstbewussten kurdischen Kämpferinnen setzt der Verfassungsschutz das Zerrbild einer vermeintlich vom Islam und konservativen Stammestraditionen geprägten Bewegung.

Damit zielt die Broschüre direkt auf die Störung der darin beklagten „Wechselwirkungen und ideologische Gemeinsamkeiten“ zwischen der PKK und der deutschen Linken. Denn vom Verfassungsschutz wird ein „internationalistisches Selbstverständnis deutscher Linksextremisten, die sich als Unterstützer revolutionärer Bewegungen in anderen Teilen der Welt sehen“, beklagt. Unter anderem genannt werden die Kampagne „Tatort Kurdistan“, die die Verwicklungen deutscher Behörden und der Industrie in den Krieg der Türkei gegen die kurdische Zivilbevölkerung aufzeigt, sowie die Partei DIE LINKE, die der PKK angeblich die Möglichkeit gibt, „politischen Einfluss auszuüben“. In der wachsenden Solidarität mit dem kurdischen Freiheitskampf sieht der deutsche Staat eine Gefahr für die Fortsetzung seiner rein an kapitalistischen Profitinteressen orientierten Waffenbrüderschaft mit dem Erdogan-Regime.

Schließlich diffamiert die Broschüre noch die demokratischen Massenorganisationen der Kurdinnen und Kurden in Deutschland und ihre Medien. Das Demokratische Gesellschafszentrum der KurdInnen NAV-DEM wird als Beispiel für eine „unselbstständige (Teil-)Vereinigung der PKK“ benannt, obwohl gerade erst das Verwaltungsgericht Düsseldorf eine solche Einstufung für unzulässig erklärt hat. Die „Ajansa Nûçeyan a Firatê“ wird als „PKK-Nachrichtenagentur“ und „Eckpfeiler der PKK-Informationspolitik“ bezeichnet. „Als einzige nichtislamistische ausländerextremistische Organisation in Deutschland verfügt die PKK über eine eigene Tageszeitung“, heißt es über Yeni Özgür Politika. Mit identischen Behauptungen lässt Erdogan in der Türkei Journalisten kurdischer Nachrichtenagenturen verhaften und Zeitungen schließen.

Bezeichnend ist schließlich das Titelbild der Broschüre. Zentral im Vordergrund weht dort Ala Rengîn, die rot-weiß-grüne Fahne mit der gelben Sonne, die von vielen Kurden als ihre Nationalfahne verstanden wird. Die PKK mit ihrer linken antinationalen Linie benutzt diese Fahne bewusst nicht. Dagegen ist diese Fahne die offizielle Staatsfahne der vom feudalen Barzani-Clan dominierten Regionalregierung Kurdistan-Irak. Die Verfassungsschutzbroschüre erweckt den Eindruck, Ala Rengîn sei eine in Deutschland verbotene PKK-Fahne. Deutlich wird daran, dass das PKK-Verbot sich nicht nur gegen eine Partei richtet, sondern zur Diskreditierung und Kriminalisierung der Kurden insgesamt beiträgt.

Yeni Özgür Politika 28.2.2019