Junge Welt 18.09.2004 Wochenendbeilage
Bodenreformer in Bayern
Von der Wehrmacht zur KPD – Revolutionär, Bauer und
Soldat.
Vor 100 Jahren wurde Richard Scheringer geboren
Am 19. März 1931 verlas der KPD-Abgeordnete Hans Kippenberger
im Reichstag die Lossagungserklärung des vormaligen nationalsozialistischen
Parteimitglieds Richard Scheringer: »Ich sage mich daher endgültig von Hitler
und dem Pazifismus los und reihe mich als Soldat ein in die Front des
wehrhaften Proletariats. Für die Revolutionierung und Bewaffnung der breiten
Massen! Für die nationale und soziale Befreiung!« Diese Worte schlugen ein wie
eine Bombe. Denn ihr Verfasser, der Offizier Scheringer, saß nach einem weithin
beachteten Prozeß wegen nationalsozialistischer Unterwanderung der Reichswehr
in Festungshaft.
Richard Scheringer wurde am 13. September 1904 als Sohn einer
preußisch-bayerischen Offiziersfamilie in Aachen geboren. Als Gymnasiast in
Koblenz erlebte er 1923 die Rheinlandbesetzung durch alliierte Truppen,
beteiligte sich an Sabotageaktionen gegen eine Separatistendruckerei und mußte
vor der drohenden Verhaftung nach Berlin fliehen. Eher durch Zufall nahm er im
Oktober 1923 am niedergeschlagenen Küstriner Putsch der Schwarzen Reichswehr
teil. Nach dem Abitur meldete sich Scheringer als Freiwilliger zur Reichswehr,
in der er die einzige Kraft zur ersehnten nationalen Befreiung Deutschlands vom
Versailler Diktat sah. Doch die Erfahrungen mit einem elitären Offizierskorps
trieben den Nationalrevolutionär in die Arme der Nazipartei. Zusammen mit
seinen Mitverschwörern Hanns Ludin und Hans Friedrich Wendt wurde Leutnant
Scheringer 1930 wegen nationalsozialistischer Unterwanderung des Offizierskorps
verhaftet und im Ulmer Reichswehrprozeß zu 18 Monaten Festungshaft verurteilt.
In der Festung Gollnow traf Scheringer auf kommunistische Häftlinge. Sie
überzeugten Scheringer in wochenlangen Diskussionen, daß die NSDAP weder
»national« noch »sozial« sei. »Es war eine neue Welt, die uns unter diesen
kommunistischen Arbeitern aufging, eine Welt der bedingungslosen Hingabe an
eine Sache, ohne daß der einzelne davon viel Aufhebens machte, eine Welt mit
viel Humor und Selbstkritik, eine Welt des Lernens und Studierens, wo es
radikal und gründlich zuging, eine Welt, erhellt vom Schein der Revolution.«
Als sich Hitler und Goebbels Scheringer gegenüber bei einem Hafturlaub von
antikapitalistischen Maßnahmen distanzierten, pfiff er bei seiner Rückkehr nach
Gollnow die »Internationale«. Weil Scheringer seinen Übertritt zur KPD als
»Partei der Volksrevolution« in mehreren Broschüren ausführte, verurteilte ihn
das Reichsgericht zu weiteren 2 1/2 Jahren Gefängnis wegen »literarischem
Hochverrat«.
Im September 1933 kam Scheringer durch eine Begnadigung des Reichspräsidenten
frei. Sein mittlerweile zum SA-Führer aufgerückter Freund Ludin hielt seine
schützende Hand über ihn. Nach der Heirat mit Marianne Heisch übernahm
Scheringer den Dürrnhof im bayerischen Kösching bei Ingolstadt, um als Bauer zu
leben. Ein Angebot der KPD, nach Moskau zu emigrieren, lehnte er ab. In seiner
Autobiographie »Das große Los – unter Soldaten, Bauern und Rebellen« (Reinbek,
1959) schrieb er: »Den Widerstand zu organisieren, blieb unser Ziel. Aber die
während der Haftzeit bei den Kommunisten gewonnene Klarheit wurde durch das
großbäuerliche Leben im Nazistaat mit allen fast täglich geforderten kleinen
Kompromissen erneut getrübt.« Den deutsch-sowjetischen Pakt 1939 begrüßte er.
»War das nicht doch die Wirklichkeit jenes Bildes im ganz Großen, das mir in
der Zelle von Moabit vor dem inneren Auge erschienen war: das Bündnis zwischen
Nationalismus und Kommunismus gegen Kapitalismus und nationale Unterdrückung?«
Als Freiwilliger meldete sich Scheringer zu einer von Ludin geführten
Artillerieeinheit, um seinen 1915 in Frankreich gefallenen Vater zu rächen.
Doch dem Sieg über Frankreich folgte der Angriff auf die Sowjetunion.
Nach der Befreiung kam Scheringer als Wehrmachtsoffizier in
Kriegsgefangenschaft, bevor ihn die US-Truppen als Staatssekretär im bayerischen
Landwirtschaftsministerium einsetzten. Doch schon nach wenigen Tagen mußte er
zurücktreten, als seine Gegnerschaft zur Rheinlandbesatzung 1923 bekannt wurde.
1953 führte Scheringer seine eigene Bodenreform durch und schenkte 60 seiner 80
Hektar Landes an umgesiedelte Bauern.
Von 1945 bis zum Verbot der Partei 1956 gehörte er der KPD-Landesleitung an und
vertrat die Partei als Landtagsabgeordneter im bayerischen Verfassungsausschuß.
Scheringer organisierte Proteste von Landwirten gegen die Beschlagnahmung ihres
Bodens zum Bau von Militärflughäfen. Der von ihm geführte Gesamtdeutsche
Arbeitskreis für Land- und Forstwirtschaft wurde als kommunistische
Tarnorganisation verboten. Wegen seiner Mitarbeit am »Programm zur nationalen
Wiedervereinigung Deutschland« verurteilte der Bundesgerichtshof Scheringer zu
zwei Jahren Gefängnis unter Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte. Zwischen
1972 und 1982 vertrat Scheringer die DKP im Köschinger Gemeinderat.
Richard Scheringer starb am 9. Mai 1986. Er hinterließ elf Kinder. 22mal hat er
für seine politische Überzeugung im Gefängnis gesessen. »Aber es war ein Leben
mit viel Liebe, viel Freundschaft, vielen Kindern, über Irrtum und Schuld
hinweg in Richtung auf das große Ziel, einmal, in einem sozialistischen Vaterland
›mit freiem Volk auf freiem Grund zu stehen‹. Das ist das große Los.«
Nick Brauns