Sabine Hering/Kurt Schilde (Hrsg.): Die Rote Hilfe. Die Geschichte der internationalen kommunistischen „Wohlfahrtsorganisation“ und ihrer sozialen Aktivitäten in Deutschland (1921-1941), Opladen: Leske und Budrich 2003, 326 S., 24,90 EUR

 

Nikolaus Brauns: Schafft Rote Hilfe! Geschichte und Aktivitäten der proletarischen Hilfsorganisation für politische Gefangene in Deutschland (1919-1938), Bonn: Pahl-Rugenstein-Verlag 2003, 345 S., 32,- EUR

 

 

„Die Familien der Gefangenen und Verwundeten gilt es zu unterstützen. Den eingekerkerten müssen die Tage der Freiheitsberaubung erleichtert werden durch unser Hilfswerk. Rechtschutz müssen wir denen bringen, die man noch vor die Gerichte schleifen wird. Um dieses Werk proletarischer Solidarität vollbringen zu können, hat sich aus den Kreisen der Arbeiterschaft die ‚Rote Hilfe’ gebildet. Überall im Reich sind Bezirkskomitees gebildet, die in einem Zentralkomitee zusammengefasst werden, das sofort Sammellisten an die Organisationen verschicken wird. Die ‚Rote Hilfe’ kann ihr Werk aber nur vollbringen, wenn alle Klassengenossen eine opferwillige Hand für die Opfer des Befreiungskampfes haben. Arbeiter, Klassengenossen! Organisiert sofort Geld- und Lebensmittelsammlungen.“

Mit diesem Appell begann im April 1921 die Geschichte der „Roten Hilfe“ in Deutschland. Ihr erklärtes Ziel war neben der Betreuung politisch Verfolgter auch die materielle und ideelle Unterstützung ihrer von Verelendung bedrohten Angehörigen. In zwei eigenen Kindererholungsheimen wurde die Versorgung und pädagogische Betreuung von Kindern von inhaftierten oder getöteten GenossInnen organisiert. Weiterhin engagierten sich die Rechtsanwälte der Roten Hilfe in der Beratungsarbeit im Arbeits-, Miet- und Rentenrecht. Über eine umfangreiche publizistische Tätigkeit wurden die Aufklärung über die Weimarer „Klassenjustiz“ und internationale Solidaritätskampagnen durchgeführt. Nach beschwerlichen Anfängen konnte die mit einer zentralen Leitung und einem eigenen Funktionärsapparat ausgestattete kommunistische Selbsthilfeorganisation zum Beginn der 1930er Jahre auf ein Netzwerk mit nicht weniger als 500.000 Einzelmitgliedern, Funktionären und Unterstützern aus dem gesamten linken Spektrum zurückgreifen, die in über 3.000 Bezirksgruppen organisiert waren. Zusätzlich waren über 300 Rechtsanwälte dauerhaft oder zeitweise für die Rote Hilfe tätig. Daneben war, als dritte Säule der Arbeit, eine Reihe prominenter Intellektueller aus Kultur und Wissenschaft (indirekt oder direkt) an den Kampagnen der Roten Hilfe beteiligt, darunter Johannes R. Becher, Egon Erwin Kisch und Kurt Tucholsky aber auch die republikanisch gesinnten Schriftsteller Heinrich und Thomas Mann und der spätere Nobelpreisträger Albert Einstein. Auf übernationaler Ebene war die deutsche Sektion der Roten Hilfe in ein internationales Netzwerk eingebunden, das nicht weniger als 70 europäische und außereuropäische Länder umspannte und mehr als 13 Millionen Mitglieder hatte.

Diese bemerkenswerte Wirkungsgeschichte ist bislang weitgehend unbekannt geblieben. Weder von der wohlfahrtsgeschichtlichen Historiografie noch von der mittlerweile umfangreich vorliegenden Forschungsliteratur zur den Organisationen der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik wurde die Rote Hilfe bisher, sieht man von einigen Randbemerkungen und Überblicksdarstellungen ab, zur Kenntnis genommen. Nachdem jüngst (2002) von Heinz Jürgen Schneider, Erika und Josef Schwarz ein Band zu den Rechtsanwälten der Roten Hilfe vorgelegt wurde, wollen der von Sabine Hering und Kurt Schilde edierte Sammelband und die Münchener Dissertation von Nikolaus Brauns weiteres Licht in das Dunkel der proletarischen Selbsthilfeorganisation bringen – was ihnen, soviel sei an dieser Stelle vorweggenommen, eindrucksvoll gelingt. In beiden Publikationen wird ein detailreiches Bild sowohl von den großen nationalen und internationalen Kampagnen der Roten Hilfe gegen die Todesstrafe und das politische Strafrecht als auch von der alltäglichen Kleinarbeit der HelferInnen, dem Sammeln von Spenden, Lebensmitteln und Unterschriften, der Arbeit in den Kinderheimen, der Unterstützung der Familien von politischen Gefangenen usw. gezeichnet. Während sich der Sammelband von Hering und Schilde vornehmlich auf die soziale und pädagogische Praxis konzentriert, hat Nikolaus Brauns den Versuch unternommen, eine Gesamtdarstellung der Roten Hilfe vorzugelegen.

Der Sammelband von Hering und Schilde beinhaltet neben dem Vorwort von Rudolph Bauer und einem Einleitungsbeitrag insgesamt 15 Beiträge von acht Autorinnen und Autoren, wobei neben den Herausgebern auch Nikolaus Brauns mit drei Beiträgen mehrfach vertreten ist. Ein dokumentarischer Anhang enthält sieben Dokumente von bzw. über die Rote Hilfe, wobei sich die ersten beiden Dokumente gewissermaßen als Standortbestimmung einer proletarischen Sozialpolitik verstehen lassen, während das letzte, ein Bericht der Gestapo über die illegalen Tätigkeiten der Roten Hilfe, sowohl als Beleg für den Widerstandswillen der Mitglieder als auch symbolisch als das Ende der Roten Hilfe (Deutschlands) gelesen werden kann.

Inhaltlich fokussieren die Beiträge zunächst unter der Überschrift „Die Organisation“ zusammengefasste, organisationsgeschichtliche Aspekte der Roten Hilfe. Zwei Artikel von Mitherausgeber Kurt Schilde befassen sich eingangs mit den verschiedenen Tätigkeitsfeldern auf nationaler und internationaler Ebene. Anschließend verortet Nikolaus Brauns in ebenfalls zwei Beiträgen zunächst die Stellung der Roten Hilfe innerhalb der deutschen Arbeiterbewegung und schildert ihre umfangreichen Presse- und Verlagstätigkeit.

Ein weiterer, angesichts der anvisierten Zielsetzung der Herausgeber etwas schmal dimensionierter Teil mit drei Artikeln beschäftigt sich mit der „Soziale(n) und pädagogische(n) Praxis“ der Roten Hilfe. Carola Tischler schildert in ihrem informativen Beitrag die Rechtsberatungspraxis während sich Sabine Hering mit den Kinderheimen der Roten Hilfe in Worpswede und Elgersburg und den pädagogischen Konzeptionen des kommunistischen Pädagogen Edwin Hoernles auseinandersetzt, die in der (west-)deutschen Erziehungswissenschaften bislang weitgehend unbekannt geblieben sind.

Der umfangreichste Abschnitt des Sammelbandes („Biographien“) ist den Porträts der wichtigsten Protagonisten der Roten Hilfe gewidmet und soll beispielhaft den Personenkreis beleuchten, der in der Roten Hilfe gearbeitet hat. Naturgemäß beschränkt sich die Auswahl auf die Personen, die eine gewisse Prominenz besaßen, so dass die Motivation und das Engagement der „einfachen“ Mitglieder außen vor bleibt. Ingesamt werden sieben Personen skizziert, von denen die Herausgeber annehmen, dass sie das für die Rote Hilfe typische Spektrum von Rollen und Profilen abbilden. Elena Resch porträtiert mit der von Lenin als „Genossin Absolut“ titulierten Jelena Stassowa, die Vorsitzende der ersten Stunde. Sabine Hering skizziert die Schweizerin Mentona Moser, die ihr Engagement zunächst als wohlhabende Mäzenin begann und sich, nachdem ihr Vermögen erschöpft war, der Propaganda- und Bildungsarbeit zuwandte. Mit Rosa Aschenbrennerin charakterisiert Günther Gerstenberger eine Vertreterin der proletarischen Basis und zugleich Mitbegründerin der Frauenhilfe in München. Die Biografie von Ella Ehlers, die Lehrerin in den Kinderheimen Barkenhoff und Elgersdorf, wird von Sandra Schönauer beschrieben. Bei den Männern skizziert Nicolaus Brauns den „Mann im Hintergrund“, Eugen Schönhaar, der als Mitarbeiter von Jelena Stassowa als Organisator der Roten Hilfe fungierte und im Februar 1934 von der Gestapo ermordet wurde. Ulla Plener widmet sich dem Leben des Reformpädagogen, Kommunisten und Verfassers von Kinder- und Jugendliedern Helmut Schinkel, während Carola Tischler das Leben des wohl prominentesten Anwalts der Roten Hilfe, Felix Halle, „zwischen Selbststilisierung und Selbstaufgabe“ skizziert.

Mit dieser Mischung aus Organisations- und Praxisgeschichte und biografischen Annäherungen gelingt es den Herausgebern ein facettenreiches und informatives Bild der Roten Hilfe zu zeichnen. Neben Menschen, die sich für die Geschichte der Arbeiterbewegung und ihrer Organisationen interessieren, dürfte der Band auch für historisch interessierte (Sozial-)Pädagogen eine bereicherndere Lektüre darstellen, zumal die für die Rote Hilfe konstitutive Verbindung von Sozialarbeit und Politik mittlerweile in der Sozialpädagogik keine Rolle mehr spielt. Etwas überzogen erscheinen dem Rezensenten allerdings die Versuche, die Rote Hilfe als „Wohlfahrtsorganisation“ auszuweisen. Zwar wird die Bezeichnung „Wohlfahrtsorganisation“ sowohl im Titel als auch in den Beiträgen zum Teil in Anführungszeichen verwendet, was darauf hindeutet, dass diese Kennzeichnung auch für die VerfasserInnen keine ausgemachte Sache ist, und zusätzlich wird auch darauf hingewiesen, dass sich die Rote Hilfe ausdrücklich nicht als Wohlfahrtsorganisation verstanden hatte, mit Bezug auf die soziale Praxis und der verbandsrechtlichen Organisation wird dann allerdings auf den Ähnlichkeiten zu den bürgerlichen Wohlfahrtsverbänden insistiert (z.B. in den Beiträgen von Hering/Schilde, S. 19; Schilde, S. 32ff. und Hering, S. 131-158). Nun mag man darüber streiten, ob diese Ähnlichkeiten tatsächlich mehr als formale Übereinstimmungen waren, deutlich überzogen ist in diesem Zusammenhang sicherlich die Rede vom „bürgerschaftlichen Engagement“, als das Rudolph Bauer im Vorwort (S. 13) die Arbeit der Roten Hilfe auszuweisen versucht. Dieses Prädikat wird hinfällig, wenn man sich vor Augen hält, dass die Arbeit der Roten Hilfe einen integralen Bestandteil der kommunistischen Bürgerkriegsvorbereitungen darstellte. Dies mag in der illegalen Arbeit – Beschaffung falscher Ausweispapiere und Schleusung verfolgter Revolutionäre ins Ausland – deutlicher zum Ausdruck kommen, als in den sozialfürsorgerischen Initiativen, unterm Strich blieben aber auch Letztere dem Ziel der Umwälzung der kapitalistischen Verhältnisse verpflichtet. Vollends schief wird der Vergleich dann, wenn etwa die Fluchthilfe für verfolgte Kommunisten in den 1920er Jahren umstandslos mit der vom Roten Kreuz nach 1945 organisierten Unterstützung für Nazi-Verbrecher gleichgesetzt wird (S. 33).

Diesen Fallstricken entgeht Nikolaus Brauns in seiner Monografie „Schafft Rote Hilfe!“, da er zwar ebenfalls die sozialfürsorgerischen und sozialpädagogischen Tätigkeiten der „Rote(n) Wohlfahrt“ berücksichtigt, sich aber insgesamt stärker auf das eigentliche „Kerngeschäft“, die juristische, materielle und ideelle Hilfe für politische Gefangene bezieht. Hier schildert er die prestigeträchtigen Amnestiekampagnen für den anarchistischen Dichter Erich Mühsam und den „deutschen Robin Hood“ Max Hoelz ebenso wie den alltäglichen Kleinkampf der Anwälte zur Freilassung der zu Tausenden in den Weimarer Gefängnissen einsitzenden proletarischen Gefangenen. Angemessen kritisch setzt er sich auch mit der Politik der Roten Hilfe gegenüber der Situation politischer Gefangener in der Sowjetunion auseinander. Keinen Zweifel lässt er daran, dass die Verschweige- und Verschleierungstaktik der Roten Hilfe, die auch zum Bruch mit dem anarchistischen Dichter Erich Mühsam führte, nicht eben als Ruhmesblatt der Organisation gezählt werden kann.

Zeitlich setzt die Monografie Brauns noch etwas früher an als die Beiträge in Hering/Schilde und bezieht auch die 1919 in München gegründete Vorläuferorganisation der Roten Hilfe, die „Frauenhilfe für politische Gefangene“ mit in die Untersuchung ein. Eigene Kapitel sind der Thematik von politischen Flüchtlingen, dem Asylrecht und den internationalen Solidaritätskampagnen gewidmet. Im Gegensatz zu den (naturgemäß) kürzeren Beiträgen des Sammelbandes kann sich Brauns stärker der sozialgeschichtlichen Einordnung der Roten Hilfe in das komplizierte Geflecht der deutschen Arbeiterbewegung widmen. Insbesondere gegen Ende der 1920er Jahre geriet auch die Rote Hilfe stärker in den Strudel der ideologischen Auseinandersetzung innerhalb der revolutionären Arbeiterbewegung. Wie in der KPD kam es auch in der Roten Hilfe, deren mittlere und hohe Funktionärsebenen von Kommunisten dominiert waren (während bei den „einfachen“ Mitgliedern die „parteilosen“ überwogen), zu den Auseinandersetzungen der kominterntreuen Führung und den rechts- und linksoppositionellen „Abweichlern“. Im Zuge dieser Linienkämpfe wurden fähige MitarbeiterInnen aufgrund ihrer „falschen“ Ansichten aus der Roten Hilfe ausgeschlossen, ganze Ortsgruppen aufgelöst, Bezirksgruppen gespalten und ein Mitgliederverlust von fast 20.000 Personen verzeichnet. Gleichzeitig wurde auch von der Roten Hilfe die verhängnisvolle „Sozialfaschismus“-These übernommen und die SPD als der eigentliche Hauptfeind der proletarischen Revolution identifiziert, was allerdings nicht die Versuche ausschloss, die SPD-Basis für die „Einheitsfront“ zu mobilisieren und angeklagten Sozialdemokraten Rechtshilfe zukommen zu lassen.

Höchst spannend ist auch das abschließende Kapitel, in dem Brauns die Aktivitäten der Roten Hilfe nach 1933 schildert. Als einzige Nebenorganisation der KPD konnte die Rote Hilfe noch bis 1938 aufrecht erhalten werden. Neben der illegalen Arbeit versuchten die AktivistInnen auch halb-legale Formen des Widerstands zu praktizieren, in dem sie nach der von Dimitroff propagierten Taktik des „Trojanischen Pferdes“ in die NS-Organisationen eintraten um auf diese Weise Gelder für die Familien politischer Gefangener abzuzweigen. So gelang es etwa einem Rotem Helfer als Mitglied der NSV-Leitung in Plauen, die Zahlung von Unterstützungsgeldern an 30 Familien politischer Gefangener zu veranlassen, die zuvor keine Hilfe erhalten hatten (S. 302).

Unter dem Strich hat Brauns eine Monografie vorgelegt, die für lange Zeit das Standardwerk zur Roten Hilfe bleiben wird (was übrigens auch dem Verfassungsschutz nicht entgangen ist, der das Buch im Verfassungsschutzbericht 2003 erwähnt!). Besonders hervorzuheben ist an dieser Stelle auch die gelungene Aufmachung des Bandes. Anders als man es von den meisten Dissertationen gewöhnt ist, haben sich hier Autor und Verlag wirklich alle Mühe gegeben, einen optisch ansprechenden und lebendig gestalteten Band herauszugeben. Die rund 300 abgedruckten Bilder und Faksimiles lassen die Lektüre zu einem anregenden Vergnügen werden. Dies allein ist zwar noch kein Qualitätsmaßstab, rundet aber das überzeugende Bild des großformatigen Bandes ab.

Sven Steinacker

 

Aus: "Sozialwissenschaftlichen Literatur Rundschau" Nr. 50, H.1/2005, S. 81-84.