junge Welt 05.08.2006 / Geschichte / Seite 15

 


»Rücksichtsloser Bruch«

Vor 75 Jahren: KPD setzt mit Nazis auf Volksentscheid gegen Preußenregierung

Nick Brauns
 

Auch die Rote Hilfe trommelte für den Volksentscheid

Auch die Rote Hilfe trommelte für den Volksentscheid

Foto: jW-Archiv

 

Einen traurigen Höhepunkt erreichte die von der KPD seit Ende der 1920er Jahre betriebene Politik, die Sozialdemokratie als ihre Hauptfeindin zu betrachten, mit dem sogenannten roten Volksentscheid im August 1931. Die Initiative zum Sturz der sozialdemokratischen Preußenregierung ging dabei von rechtsextremen Kräften aus und wurde erst später von der KPD unterstützt.

Rechte Strategie

»Wer Preußen hat, hat Deutschland«, so begründete Franz Seldte, der Bundesführer der deutschnationalen Wehrvereinigung »Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten«, vor über 100000 Teilnehmern eines »Reichsfronttages« am 4. Oktober 1930 ein Volksbegehren zur Auflösung des preußischen Landtages. Da der Stahlhelmbund und die Deutsch-Nationale Volkspartei (DNVP) infolge der Tolerierung des christlich-konservativen Reichskanzlers Heinrich Brüning durch die Sozialdemokatie auf Reichs­ebene nicht Fuß fassen konnten, konzentrierten sich die Rechtskräfte von nun an auf den Sturz der als »marxistisch« verschrienen preußischen Regierung. »In durchaus richtiger Einschätzung der geringen Bedeutung der Reichsgewalt auf dem rein innenpolitischen Gebiet hat die Sozialdemokatie all ihre organisatorische Kraft und alle ihre personellen Machtmittel auf die Durchdringung und Beherrschung des preußischen Staatsapparates konzentriert«, begründete der deutschnationale Landtagsabgeordnete Lothar Steuer das Vorgehen der Rechten.

Tatsächlich übersprang die »Nationale Opposition«, der sich auch die NSDAP angeschlossen hatte, am 21. April 1931 mit 5,27 Millionen Stimmen nur knapp die Hürde des zur Einleitung eines Volksentscheides notwendigen Volksbegehrens und blieb damit weit hinter dem Stimmenanteil der beteiligten Parteien bei der vergangenen Reichstagswahl zurück. Die Preußenregierung unter Ministerpräsident Otto Braun und Innenminister Carl Severing konnte aufatmen.

Doch im Sommer 1931 verschärfte sich die innenpolitische Situation in Deutschland. Mit dem Zusammenbruch der Danat-Bank, dem zweitgrößten Kreditinstitut Deutschlands, erreichte die Weltwirtschaftskrise einen neuen Tiefpunkt. Die KPD sah sich darin bestätigt, daß die Situation unausweichlich auf eine Revolution zutreibe. Als entscheidendes Hindernis erschien dabei die Sozialdemokatie, deren Führer als Sozialfaschisten bezeichnet wurden. Gründe dafür gab es durchaus. Mit ihrer Politik des »kleineren Übels« tolerierten die Sozialdemokraten den Zentrumspolitiker Brüning als Reichskanzler, obwohl dessen »Sparpolitik« zu Verarmung immer breiterer Bevölkerungsschichten führte. Nahezu täglich kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten, der SA und der Polizei. Durch Notverordnungen des Reichspräsidenten »zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung« wurden das Versammlungsrecht und die Pressefreiheit eingeschränkt.

KPD schwenkt ein

Im April 1931 hatte der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann noch erklärt: »Wir können selbstverständlich nicht mit den Faschisten gegen die Preußenregierung ein gemeinsames Volksbegehren durchführen.« Entscheidend für die Wendung der KPD-Politik drei Monate später war die Intervention Moskaus. Nachdem das Politbüro der KPD Mitte Juli die ablehnende Haltung gegenüber dem Volksentscheid bekräftigt hatte, kündigten Heinz Neumann und Hermann Remmele im Namen des Sekretariats des ZK gegenüber der Führung der Kommunistischen Internationale eine Kursänderung an. Die Kominternführung, einschließlich Josef Stalin und W. M. Molotow, forderte nun ebenfalls in völliger Verkennung der Situation in Deutschland eine Teilnahme der KPD am Volksentscheid und setzte damit auch die vorsichtigeren Kräfte innerhalb der KPD-Führung unter Druck. 

Als äußerer Anlaß für die Teilnahme der KPD am Volksentscheid diente das Verbot eines kommunistischen Sportfestes in Berlin. Ultimativ forderte die KPD am 21. Juli von der sozialdemokratisch geführten preußischen Regierung die Herstellung der Presse-, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit sowie die Rücknahme der letzten Gehalts- und Sozialunterstützungskürzungen. Doch Innenminister Severing lehnte dies im Namen der Regierung ab.

Am 22. Juli stimmte die Parteiführung nahezu geschlossen für die Teilnahme am Volksentscheid. Auch Thälmann, der zuvor einige Bedenken geäußert hatte, sah nun »die Aktion der Partei für den Volksentscheid« als »ein gutes Mittel (...), um die innerhalb der SPD miteinander ringenden Gruppen stärker zu differenzieren«.

Die Regierung Braun/Severing führe »Schritt für Schritt die faschistische Diktatur« durch, hieß es im Aufruf des nun als »roter Volksentscheid« deklarierten Versuchs, im Bündnis mit den Rechtsparteien die Preußenregierung zu stürzen. Entsprechend gelte es, den »rücksichtslosen Bruch mit allen sozialdemokratischen Illusionen der deutschen Arbeiterbewegung« zu betreiben. »Der (...) Terror der Preußenregierung unterscheidet sich in nichts von den Zielen und den Methoden des Hugen­berg-Seldte-Hitler-Faschismus«, verwischte auch die kommunistisch geführte Rote Hilfe in einem Aufruf zum »roten Volksentscheid« jede Grenze zwischen parlamentarischer Demokratie und Faschismus.

»Der Beschluß des ZK auf Teilnahme am Volksentscheid hat überall in der Arbeiterschaft die stärkste Begeisterung ausgelöst«, meldete Wilhelm Pieck dem Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale. Doch insbesondere kommunistische Wähler waren nicht bereit, gemeinsam mit Hitler, DNVP-Chef Alfred Hugenberg und Stahlhelmführer Seldte eine antisozialdemokratische Front zu bilden.

Für einen Erfolg des Volksentscheids wäre eine Mehrheit der Wahlberechtigten, also mindestens 13,2 Millionen, notwendig gewesen, doch nur 9,8 Millionen votierten am 9. August 1931 für den Sturz der preußischen Regierung. So gingen im »roten Wedding« 41 Prozent weniger Wähler zur Urne, als KPD, NSDAP und DNVP 1930 zusammen an Stimmen erhalten hatten. Ähnlich sah es in anderen Arbeiterbezirken aus. »Die Resultate der Abstimmung bedeuten«, so hieß es dagegen am 12. August in der Prawda, »den schwersten Schlag, den die Arbeiterklasse der Sozialdemokatie bisher zugefügt hat.«

Der braun-rote Volksentscheid vertiefte den Graben zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten weiter und belastete zukünftige Angebote zur antifaschistischen Aktionseinheit schwer. Als der rechtskatholische Reichskanzler Franz von Papen aufgrund einer Notverordnung am 20. Juli 1932 die nach ihrer Wahlniederlage vom April 1932 nur noch geschäftsführend tätige sozialdemokratische Preußenregierung für abgesetzt erklärte, verhallten alle Aufforderungen der KPD, diesem Putsch mit einem gemeinsamen Generalstreik entgegenzutreten, ungehört.

 

5.08.2006 / Geschichte / Seite 15


Leo Trotzki über den »roten Volksentscheid«

Die kommunistische Bürokratie bezeichnete Thälmanns Volksentscheid als den »roten« im Unterschied zu Hitlers schwarzem oder braunem Volksentscheid. Es steht völlig außer Zweifel, daß es sich um zwei Parteien handelt, die einander als Todfeinde gegenüberstehen, und alle Lügen der Sozialdemokratie werden die Arbeiter das nicht vergessen machen. Aber es ist eine Tatsache: In einer bestimmten Kampagne hat die stalinistische Bürokratie die revolutionären Arbeiter in eine Einheitsfront mit den Nationalsozialisten gegen die Sozialdemokratie hineingezogen. (...)

Wir haben nicht die geringste Veranlassung, die Regierung Braun zu stützen (...). Aber noch viel weniger Anlaß haben wir, den Faschisten dabei zu helfen, sich an die Stelle von Brüning und Braun zu setzen. Denn wenn wir zu Recht die Sozialdemokratie anklagen, dem Faschismus den Weg bereitet zu haben, so kann unsere Aufgabe am allerwenigsten darin bestehen, dem Faschismus diesen Weg abzukürzen. (...)

Das Problem ist also das Kräfteverhältnis. Auf die Straße gehen mit der Losung »Nieder mit der Brüning/Braun-Regierung!«, wenn – aufgrund des Kräfteverhältnisses – diese Regierung nur durch eine Regierung Hitler/Hugenberg ersetzt werden kann, ist reines Abenteurertum. Die gleiche Parole bekommt jedoch einen völlig anderen Sinn, wenn sie zur Einleitung des unmittelbaren Kampfes des Proletariats um die Macht wird. Im ersten Falle müßten die Kommunisten den Massen als Helfershelfer der Reaktion erscheinen; im anderen würde die Frage, wie die Faschisten gestimmt haben, bevor sie vom Proletariat zerschmettert wurden, alle politische Bedeutung verlieren.