Aus: junge
Welt Ausgabe vom
23.08.2017, Seite 14 / Feuilleton
Rotlicht: Pogrom
Von Nick
Brauns
Der Begriff
Pogrom ist russischen Ursprungs. So kann »Grom« mit
»Donner« übersetzt werden, das Verb »gromit« bedeutet
»zerschlagen« oder »gewaltsam zerstören«. Anfangs wurde der in andere Sprachen
übernommene Begriff Pogrom zur Umschreibung der Judenmassaker im zaristischen
Reich genutzt. Doch auch im hebräischen Sprachgebrauch steht Pogrom heute
allgemein für »Unruhen, Mord- und Gewalttaten, organisiert und gerichtet gegen
ethnische oder gesellschaftliche Gruppen«.
Unterschieden
werden muss ein Pogrom von Razzien und Massakern staatlicher Kräfte, aber auch
von der gegen einzelne gerichteten Lynchjustiz und gezielten Anschlägen.
Pogrome zeichnen sich durch eine Massendynamik aus. Die »Pogromhelden«, die
häufig einer im Hintergrund agierenden rechtsextremen Organisation angehören,
können sich der schweigenden oder aktiven Unterstützung der Volksmenge bei
gleichzeitigem Stillhalten staatlicher Kräfte sicher sein. Ärmeren
Bevölkerungsschichten bietet sich zudem die Gelegenheit der Linderung ihrer Not
durch Plünderung oder Ausschaltung von wirtschaftlichen Konkurrenten. Für die
Herrschenden haben Pogrome, die sich gegen zuvor als »Sündenböcke« für
Missstände ausgemachte ethnische oder religiöse Minderheiten richten, die
soziale Funktion, gesellschaftlichen Unmut in eine reaktionäre Richtung zu
kanalisieren.
So kam es in
Russland nach der »den Juden« angelasteten Ermordung von Zaren Alexander II.
durch Revolutionäre in den 1880er Jahren zu Pogromen durch Kosakenverbände.
Gegen die anwachsende sozialrevolutionäre Bewegung setzte der Zarismus weiter
auf die antisemitische Karte, so beim Pogrom im bessarabischen
Chisinau am Ostersonntag 1903 oder nach der
Revolution von 1905 bei den Ausschreitungen der berüchtigten »Schwarzen
Hundertschaften«. Zu Ende des Ersten Weltkrieges kam es in vielen Ländern
Osteuropas zu Pogromen als Element des gegenrevolutionären »Weißen Terrors«.
Insbesondere die türkische Geschichte ist durchzogen von Pogromen. Diese
richteten sich im Osmanischen Reich gegen Armenier, 1955 gegen die griechische
Minderheit in Istanbul sowie 1978 in Maras und 1993
in Sivas gegen die alevitische
Religionsgemeinschaft.
Im
Krisenjahr 1923 kam es zwischen dem kommunistischen Aufstand in Hamburg und dem
Hitlerputsch in München am 5. November zu einem von völkischen Agitatoren vor
einem Arbeitsamt ausgelösten Pogrom gegen ostjüdische Einwanderer in Berlin.
Die Polizei sah erst stundenlang zu, während Tausende im Scheunenviertel
wüteten, um dann ihre Knüppel gegen den jüdischen Selbstschutz zu schwingen.
Bei den heute in der Geschichtsschreibung als Reichspogromnacht titulierten
antijüdischen Ausschreitungen vom 9. November 1938 handelt es sich dagegen nur
bedingt um ein echtes Pogrom. Denn die von der SA organisierten Angriffe auf
jüdische Bürger sowie ihre Läden und Synagogen wurden von der Bevölkerung weit
weniger als von der Naziführung erhofft aufgegriffen.
Nach der für
weite Teile der DDR-Bürger mit sozialen Härten verbundenen kapitalistischen
Wiedervereinigung setzten die Herrschenden auf das von Bild und Co. präsentierte
Feindbild »Flüchtling«. Zum ersten deutschen Pogrom nach 1945 kam es im
September 1991 in der sächsischen Stadt Hoyerswerda. Die tagelange Randale
wurde zum Fanal für eine deutschlandweite Welle rassistischer Gewalttaten, die
vor 25 Jahren im August 1992 in einem weiteren Pogrom gipfelte. Tausende
Menschen applaudierten, als Neonazis in Rostock-Lichtenhagen die Zentrale
Aufnahmestelle für Asylsuchende attackierten und ein Wohnheim für
vietnamesische Arbeiter in Brand setzten. Unter Berufung auf diese Gewalttaten
stimmte der Bundestag im folgenden Jahr für die faktische Abschaffung des
Grundrechts auf Asyl.