Räuber und Terroristen

 

Wie rechte Historiker die »Verbrechen der Partisanen« im Zweiten Weltkrieg aufarbeiten.

Von Nick Brauns

 

Wenige Tage nach dem deutschen Überall auf die Sowjetunion rief Stalin zur Bildung von Partisanenabteilungen auf. »In den okkupierten Gebieten müssen für den Feind und alle seine Helfershelfer unerträgliche Bedingungen geschaffen werden, sie müssen auf Schritt und Tritt verfolgt und vernichtet werden.« Die brutale deutsche Besatzungspolitik führte ab dem Frühjahr 1942 zu einem rapiden Anstieg der Widerstandsaktivitäten. Rund 1,5 Millionen Partisanen und ihre Helfer operierten in den okkupierten Gebieten der Sowjetunion. Ihre Aktionen richteten sich schwerpunktmäßig gegen Transportwege und Versorgungseinrichtungen der Besatzer. Mit der Bezeichnung »Bandenbekämpfung« gingen Wehrmacht und SS vor allem gegen die Zivilbevölkerung vor. Für jeden von Partisanen getöteten Deutschen sollten 100 kommunistische Geiseln sterben, lautete ein Befehl. Allein in Weißrußland ermordeten die faschistischen Okkupanten bei der Partisanenbekämpfung 350000 Zivilisten, die ermordeten Juden nicht mitgerechnet. »Die Partisanenbewegung und ihre Weiterentwicklung zum bewaffneten Aufstand im zweiten Weltkrieg war die wichtigste, effektivste, die höchste Form des Kampfes der Volksmassen in den von den faschistischen Truppen okkupierten Ländern. Ihr Kampf trug wesentlich zum Ausgang des zweiten Weltkrieges bei«, lautet das Fazit des marxistischen Historikers Heinz Kühnrich in seinem Standardwerk »Der Partisanenkrieg in Europa«.

 

Relativierung deutscher Kriegsverbrechen

 

Nachdem durch die Ausstellung »Dimensionen des Vernichtungskrieges. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1945« des Hamburger Instituts für Sozialforschung die Untaten von Hitlers Armee zweifelsfrei belegt wurden, begannen revanchistische Historiker vermehrt zu einer neuen Strategie zu greifen. Die deutschen Kriegsverbrechen werden nicht mehr pauschal geleugnet, sondern relativiert, indem sie gegen angebliche Kriegsgreuel der Alliierten und insbesondere der Partisanenverbände aufgerechnet werden. Massaker an der Zivilbevölkerung werden nach dieser Lesart zur bloßen Überreaktion der vom Partisanenkampf angeblich völlig überforderten deutschen Landser. Gleichzeitig wird versucht, den Partisanenkampf als völkerrechtswidrig darzustellen und die Partisanen als moralisch verrohte Banden, die vor allem die eigene Zivilbevölkerung terrorisierten. So erklärte während des diesjährigen Pfingsttreffens der Gebirgsjäger-Kameradschaft in Mittelwald der Bundeswehrgeneral a.D. Ernst Coqui in seiner Rede vor Bundeswehraktiven und Wehrmachtsveteranen, darunter mutmaßlichen Mördern von Zivilisten in vielen Ländern Europas: »Es darf keine Tabus in der Aufarbeitung der eigenen Geschichte geben. Dies trifft im Besonderen auf den Partisanenkampf zu, der zu allen Zeiten grausam und unritterlich ist und mehr Opfer in der Zivilbevölkerung fordert als jeder reguläre Kampf.«

Daß ein ehemaliger Bundeswehrgeneral sich in dieser Form äußert, muß nicht verwundern. Schließlich verfügte die Bundeswehr an ihrer Münchner Universität bis vor wenigen Jahren mit Professor Franz W. Seidler über eine »Kapazität« für die Leugnung und Relativierung von Nazi-Kriegsverbrechen. Der 1998 emeritierte Militärhistoriker veröffentlichte unter anderem die Bücher »Die Wehrmacht im Partisanenkrieg« und »Verbrechen an der Wehrmacht. Kriegsgreuel der Roten Armee«. Als Quelle bemüht Seidler die vom Oberkommando der Wehrmacht angelegte Untersuchungsstelle. Zu Propagandazwecken wurde hier Beweismaterial über angebliche Kriegsverbrechen der gegnerischen Mächte gesammelt. Stalins Aufruf zum Partisanenkrieg war für Seidler eine »völkerrechtswidrige Maßnahme«. Tatsächlich ist es nach der Haager Landkriegsordnung von 1907 Zivilisten verboten, gegen eine Besatzungstruppe kämpfen. Die Landkriegsordnung erlaubte auch die Exekution von Freischärlern.

Seidler greift hier auf eine Argumentation zurück, die schon während des Nürnberger Prozesses vom Verteidiger Laternser zu Gunsten der angeklagten Hauptkriegsverbrecher vorgebracht wurde. Doch damit wird bewußt ignoriert, daß Hitler von Anfang an beschlossen hatte, den Angriffskrieg im Osten außerhalb aller völkerrechtlichen Normen zu führen. »Viele der Angeklagten scheinen anzunehmen, daß man jemanden bloß als Partisanen zu bezeichnen braucht, um ihn glattweg erschießen lassen zu können«, wurde Laternser während des Nürnberger Prozesses belehrt. »Wenn die Partisanen organisiert sind und in einem vom Völkerrecht als rechtmäßig betrachteten Krieg zur Verteidigung ihres eigenen Landes begriffen sind, so haben sie Anrecht auf den dem Kombattanten zustehenden Schutz.« urch das Genfer Rotkreuz-Abkommen von 1949 wird Partisanen bei ihrer Gefangennahme der Status von Kriegsgefangenen zugestanden.

 

Während sich Seidler selbst nach Meinung der <I>Frankfurter Allgemeinen Zeitung<I> »von der seriösen Wissenschaft« verabschiedet hat, bemühte das Blatt kürzlich einen scheinbar seriöseren Kronzeugen wider die Partisanen. Am 16. Juni stellte Bogdan Musial Thesen seines neuen Buchs »Sowjetische Partisanen in Weißrussland« vor. Der polnische Historiker ist kein Unbekannter. Seine Angriffe auf die Wehrmachtsaustellung wegen einiger weniger falsch beschrifteter Fotos hatten zu deren vollständiger Überarbeitung geführt.

»Die sowjetische Propaganda stilisierte die Partisanen zu Helden ohne Fehl und Tadel, die gegen die deutschen `Faschisten´ aufopferungsvoll gekämpft hätten«, schreibt Musial. »Erst in den letzten Jahren erhielten Forscher Einsicht in die streng gehüteten Dokumente, die das heroische Geschichtsbild der sowjetischen Partisanen in Frage stellen.« Er behauptet, »daß auch die Partisanen oft brutal mit der eigenen Zivilbevölkerung umgingen. Auch sie versetzten ganze Gebiete in Angst und Schrecken, brannten Dörfer und Städte nieder, führten Strafaktionen durch.«

Musial nennt Beispiele für die »Verbrechen der Partisanen«, so der programmatische Titel des <I>FAZ<I>-Beitrages. Dabei kann er sich auf Dokumente der Roten Armee berufen. Dennoch ist sein Beitrag typisch für die heute in deutschen Medien betriebene Form der Geschichtsfälschung. Er wichtet und wertet die Ereignisse in einer Weise, die ein Zerrbild von den Partisaneneinheiten entstehen lassen, das sich nicht wesentlich von dem unterscheidet, das die Nazis über die russischen »Banden« verbreiteten. Komplettiert wird dieses Bild durch ein Foto einer Frau, die die Faschisten »Flintenweib« genannt hätten. Bildunterschrift: »Plündern für den Sieg: sowjetische Freischärlerin«.

Musial schreibt zunächst, daß die Partisaneneinheiten ab dem Herbst 1942 zum »ernsthaften Problem für die Wehrmacht« wurden, um anschließend zu behaupten, die »meisten« ihrer militärischen Einsätze hätten sich »nicht gegen die Besatzer« gerichtet, sondern gegen »tatsächliche oder vermeintliche Kollaborateure«, gegen die eigene Bevölkerung. In den Dörfern hätten sie sich »nicht selten wie gewöhnliche Räuber« aufgeführt. Daß ein Krieg wie jener, bis dahin der grauenhafteste Angriffskrieg in der Geschichte der Menschheit, zwangsläufig auch auf Seiten der Opfer Traumatisierung und Verrohung hervorbringt, daß der permanente Ausnahmezustand zur Auslöschung zuvor geltender gesellschaftlicher Normen führt, wird bei solcher Betrachtungsweise geflissentlich ausgeblendet. Immerhin teilt Musial mit, daß die sowjetische Führung von den Mißständen in den Partisaneneinheiten wußte und sich bemühte, dagegen vorzugehen.

 

 

Fackelmännerbefehl

 

Auf einer rechtsextremen Homepage heißt es: »Stalins `Fackelmänner-Befehl´ fabrizierte `deutsche Greultaten´«. Der am 17. November 1941 erlassene Befehl Nr. 0428 lautete: »Alle Siedlungsgebiete, an denen sich deutsche Truppe befinden, sind auf 40 bis 60 Kilometer ab der Hauptkampflinie in die Tiefe zu zerstören und in Brand zu setzen, 20 bis 30 Kilometer nach rechts und links von den Wegen.« Neben »Kommandos der Aufklärung, Skiläufer- und Partisanen-Divisionsgruppen, die mit Brennstoffflaschen ausgerüstet sind« sollte auch Luftwaffe und Artillerie hinzugezogen werden. Fachhistorikern erschien dieser 1989 in der Stalin-Biographie des russischen Generals Dimitri Wolkogonow veröffentlichte Befehl nicht weiter spektakulär. Daß die Zivilbevölkerung aufgrund der allgemeinen Kriegssituation nicht geschont wurde, war bekannt. Für die Rote Armee ging es darum, Zeit bis zum Wintereinbruch zu gewinnen, um den Verteidigungsring um Moskau auszubauen. Hierfür war es erforderlich, der Wehrmacht das sichere Hinterland zu rauben und potentielle Unterkünfte zu zerstören.

Schon bald kursierte allerdings eine erweiterte Fassung des »Fackelmänner-Befehls« auf rechtsextremen Internetseiten, aber auch in Publikationen mit wissenschaftlichem Anspruch. »Die Jagdkommandos sollen, überwiegend aus Beutebeständen in Uniformen des deutschen Heeres und der Waffen-SS eingekleidet, die Vernichtungsaktionen ausführen. Das schürt den Hass auf die faschistischen Besatzer und erleichtert die Anwerbung von Partisanen im Hinterland der Faschisten.« In den »Vierteljahresheften für Zeitgeschichte« (4/2000) weisen die Historiker Christian Hartmann und Jürgen Zarusky indes nach, daß es sich hierbei um eine Fälschung handelt, um »NS- und Kriegsverbrechen in der besetzten Sowjetunion zu vertuschen und zu leugnen«.

Daß derlei Legenden ihre Wirkung auch in der sogenannten Mitte der Gesellschaft nicht verfehlen, zeigt die Argumentation eines Juristen im Prozeß gegen den ehemaligen SS-Offizier Friedrich Engel vor dem Hamburger Landgericht. Für Staatsanwalt Jochen Kuhlmann, war Engels Anordnung, »Partisanen, modern ausgedrückt: Terroristen« hinrichten zu lassen, eine seinerzeit durchaus legitime »Kriegsrepressalie«. Immerhin plädierte Kuhlmann im Juli 2002 dennoch für eine lebenslängliche Freiheitsstrafe und ging gegen das Urteil des Gerichts in Revision. Die Kammer hatte eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren verhängt, die Engel aus Altersgründen jedoch nicht antreten mußte. Der Bundesgerichtshof in Leipzig hob zunächst das Hamburger Urteil auf – stellte das Verfahren am 25. Juni wegen des hohen Alters des Angeklagten aber endgültig ein (<I>jW<I> berichtete am 28.6.).

 

 

Ungesetzliche Kombattanten

 

Bei der Debatte über die Rolle der Partisanen im Zweiten Weltkrieg handelt es sich nicht nur um einen Historikerstreit. Mit dem Konstrukt des »ungesetzlichen Kombattanten«, der keinen rechtlichen Schutz genießt, ließen die USA die Argumentation der Wehrmachtsführung im »Krieg gegen den Terror« in Afghanistan und im Irak wieder aufleben. In Afghanistan befindet sich das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr zusammen mit US-Truppen im Kampf gegen islamische Widerstandskämpfer. Welche Rolle deutsche Soldaten heute bei der »Bandenbekämpfung« spielen, wird dem Bundestag und der Öffentlichkeit wohlweislich verschwiegen.