Parteigruß: »Spartacus«

Vor 90 Jahren erschienen erstmals die »Spartacusbriefe« der Gruppe Internationale. Annäherung an die von Lenin geforderte organisatorische Trennung von der Sozialdemokratie

Nick Brauns

Über ein Familientreffen besonderer Art informierte die Sozialistin Käte Duncker Anfang Januar 1916 ihren zum Landsturm an der Ostfront einberufenen Mann Hermann: »Gestern, den 2., war eine größere Familienbesprechung zusammen mit Onkel Franz und Karl. Es handelte sich um die Ordnung des Nachlasses von Tante Rosa. ... Wir einigten uns auf Tante Rosas Testament und machten dadurch einen Trennungsstrich zwischen uns und der Familie von Onkel Georg.« Aus Zensurgründen als Testamentsvollstreckung umschrieben, war hier die Reichstagung der zur Gruppe Internationale zusammengeschlossenen revolutionär-marxistischen Kriegsgegner innerhalb der deutschen Sozialdemokratie gemeint. »Onkel Karl« war Karl Liebknecht, »Onkel Franz« der marxistische Historiker Franz Mehring und »Tante Rosa« natürlich Rosa Luxemburg, deren im Gefängnis entworfene »Leitsätze über die Aufgaben der internationalen Sozialdemokratie« auf der Tagung verabschiedet wurden.

Zu den von Kurieren auf Kreuz- und Querwegen zu Liebknechts Rechtsanwaltskanzlei in der Berliner Chausseestraße geführten Konferenzteilnehmern gehörten auch Hugo Eberlein, Ernst Meyer und Wilhelm Pieck aus Berlin, Otto Rühle aus Dresden, Georg Schumann aus Leipzig, August und Berta Thalheimer aus Braunschweig bzw. Cannstatt sowie die Vertreter der Bremer und Hamburger Linksradikalen Johann Knief und Rudolf Lindau.

Antikriegsstimmung

Mit den Leitsätzen Luxemburgs gab sich die marxistische Linke in Deutschland eine programmatische Plattform, in der sie sich zum Klassenkampf und zur Diktatur des Proletariats bekannten. Angesichts des Verrats der II. Internationale durch die Zustimmung ihrer Mitgliedsparteien zu den Kriegskrediten sei die Schaffung einer neuen Arbeiter-Internationale eine »Lebensnotwendigkeit für den Sozialismus«. »Die Pflicht zur Ausführung der Beschlüsse der Internationale geht allen anderen Organisationspflichten voran«, wurde der Demokratische Zentralismus zum Leitgesetz der neuen Internationale erklärt.

Weiterhin wurde die Herausgabe eines regelmäßigen Mitteilungsblattes beschlossen. »Mit Parteigruß: Spartacus« unterzeichnete Karl Liebknecht am 27. Januar 1916 erstmals diese »Politischen Briefe« mit dem Namen des legendären Führers des römischen Sklavenaufstandes. Die erst hektographierten und ab September 1916 in einer illegalen Druckerei vervielfältigten »Spartacusbriefe« kursierten unter Arbeitern und Frontsoldaten und berichteten über revolutionäre Ereignisse in Deutschland und anderen Ländern, die von der offiziellen sozialdemokratischen Parteipresse unterdrückt wurden. Sie informierten über Liebknechts Anfragen im Parlament und sein Auftreten vor Gericht. Gegen den kriegstreiberischen Sozialchauvinismus und pazifistische Illusionen über Friedensschlüsse durch internationale Schiedsgerichte forderte Spartacus: »Nicht Burgfrieden, sondern Burgkrieg!«

Insbesondere rechnete Liebknecht mit der Halbherzigkeit der »Dezembermänner« um »Onkel Georg« Ledebour ab. Am 21. Dezember 1915 hatten unter dem Druck einer wachsenden Antikriegsstimmung außer Liebknecht und Otto Rühle 18 weitere sozialdemokratische Abgeordnete, darunter Ledebour, Hugo Haase und Eduard Bernstein, gegen die Kriegskredite votiert. Mit ihrer Begründung, daß die Reichsgrenzen nunmehr gesichert seien, blieben die Abgeordneten jedoch auf dem Boden der Vaterlandsverteidigung. »Man war artig und vornehm, wie sich’s im Zeitalter des Weltkrieges und des Belagerungszustandes für wohlerzogene Sozialdemokraten ziemt«, höhnte »Spartacus«, »Burgfrieden immerhin! Mit Blitz und Donner hätte die Erklärung dreinfahren sollen – sie trug den gedämpften Ton, den gemäßigten Geist ›besonnener‹ Staatsmännerei.«

Annäherung an Lenin

Durch ihre Abgrenzung vom Sozialpazifismus näherte sich die nun als Spartacusgruppe bezeichnete Gruppe Internationale der Linie des im Schweizer Exil ausharrenden Führers der russischen Bolschewiki Lenin an. Im September 1915 hatten Berta Thalheimer und Ernst Meyer auf der Konferenz sozialistischer Kriegsgegner im Schweizer Bergdorf Zimmerwald noch mit der pazifistischen Mehrheit um Ledebour gegen Lenin gestimmt.

Mit seiner im Januar 1916 auf deutsch veröffentlichten Polemik »Der Opportunismus und der Zusammenbruch der II. Internationale« hoffte Lenin, bei den deutschen Genossen mehr Klarheit über das Wesen des Opportunismus und die Verwandlung der Sozialdemokratie »in eine nationalliberale, eine konterrevolutionäre Arbeiterpartei« zu vermitteln. Die sozialdemokratische »Vaterlandsverteidigung« (LW 22, S. 113f.) habe materielle Ursache in einer Arbeiterbürokratie und -aristokratie, denen Brocken der großen Profite bei der Aufteilung und Ausbeutung der Welt zufielen. Gemeinsame Klassengrundlage von Sozialchauvinismus und Opportunismus seien »das Bündnis einer kleinen bevorrechteten Arbeiterschicht mit ›ihrer‹ nationalen Bourgeoisie gegen die Masse der Arbeiterklasse, das Bündnis der Lakaien der Bourgeoisie mit ihr gegen die von ihr ausgebeutete Klasse« und ihr gemeinsamer politischer Inhalt »Zusammenhalt der Klassen, Verzicht auf die revolutionäre Aktion, rücksichtslose Anerkennung der bürgerlichen Legalität, Mißtrauen dem Proletariat, Vertrauen der Bourgeoisie gegenüber.« (ebd., S. 111)

Nach der Reichskonferenz der Gruppe Internationale hatte sich der bedeutendste Teil der deutschen Linken zwar ein leitendes Zentrum und mit den Spartakusbriefen ein illegales Informationsorgan geschaffen. Doch von der Illusion befangen, die Sozialdemokratische Partei in eine marxistische Kampforganisation zurückverwandeln zu können, unterschätzten sie die Notwendigkeit einer eigenständigen Parteiorganisation und verblieben vorerst als eine lose Vereinigung innerhalb der Sozialdemokratie.

Demgegenüber betonte Lenin die Notwendigkeit eines organisatorischen Bruchs mit den Opportunisten und die Bildung illegaler Organisationen »zur Unterstützung der revolutionären Bewegung der Massen. Nur ein solcher ›Krieg dem Krieg‹ ist sozialdemokratische Arbeit, keine Phrase. Und diese Arbeit wird die Menschheit, wie groß auch die Schwierigkeiten, zeitweiligen Niederlagen, Irrtümer, Abirrungen, Unterbrechungen sein mögen, zur siegreichen proletarischen Revolution führen.« (ebd., S. 119)

 

Quellentext: »Leitsätze über die Aufgaben der internationalen Sozialdemokratie«

Der Weltfrieden kann nicht gesichert werden durch utopische oder im Grunde reaktionäre Pläne wie internationale Schiedsgerichte kapitalistischer Diplomaten, diplomatische Abmachungen über »Abrüstung«, »Freiheit der Meere«, Abschaffung des Seebeuterechts, »europäische Staatenbünde«, »mitteleuropäische Zollvereine«, nationale Pufferstaaten und dergl. Imperialismus, Militarismus und Kriege sind nicht zu beseitigen oder einzudämmen, solange die kapitalistischen Klassen unbestritten ihre Klassenherrschaft ausüben. Das einzige Mittel, ihnen erfolgreich Widerstand zu leisten, und die einzige Sicherung des Weltfriedens ist die politische Aktionsfähigkeit und der revolutionäre Wille des internationalen Proletariats, seine Macht in die Waagschale zu werfen.

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In der Internationale liegt der Schwerpunkt der Klassenorganisation des Proletariats. Die Internationale entscheidet im Frieden über die Taktik der nationalen Sektionen in Fragen des Militarismus, der Kolonialpolitik, der Handelspolitik, der Maifeier, ferner über die gesamte im Kriege einzuhaltende Taktik.

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Die nächste Aufgabe des Sozialismus ist die geistige Befreiung des Proletariats von der Vormundschaft der Bourgeoisie, die sich in dem Einfluß der nationalistischen Ideologie äußert. Die nationalen Sektionen haben ihre Agitation in den Parlamenten wie in der Presse dahin zu richten, die überlieferte Phraseologie des Nationalismus als bürgerliches Herrschaftsinstrument zu denunzieren. Die einzige Verteidigung aller wirklichen nationalen Freiheit ist heute der revolutionäre Klassenkampf gegen den Imperialismus. Das Vaterland der Proletarier, dessen Verteidigung alles andere untergeordnet werden muß, ist die sozialistische Internationale.

* aus: Spartakusbriefe, hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin 1958, S.113-117