Aus: junge Welt vom 16.09.2019
Die verschwundene Straße
Fußballfans und Lokalhistoriker wollen
im Berliner Jahn-Sportpark an jüdischen Verleger und Mäzen Rudolf Mosse erinnern
Von Nick Brauns
Auf dem Pharus-Plan
vom Berlin des Jahres 1928 ist die Rudolf-Mosse-Straße
noch verzeichnet. Sie verläuft mitten durch das ehemalige »Exerziergelände an
der Einsamen Pappel«, dort, wo sich heute der Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark
im Ortsteil Prenzlauer Berg befindet. 1920 hatte der Magistrat von Berlin
anlässlich des 70. Geburtstages des Verlegers Rudolf Mosse
beschlossen, die Verbindung zwischen der Eberswalder und der Gaudystraße nach dem »großzügigen Stifter und Mäzen« zu
benennen.
Mosse, 1843 in der Provinz Posen in eine jüdische Familie
geboren, war in der Gründerzeit Berlins bedeutendster Presseunternehmer. Zu
seinem Medienimperium gehörte das als führende deutsche Tageszeitung
geltende Berliner Tageblatt. Mit seiner Frau Emilie stiftete er
Millionenbeträge, vor allem für soziale Einrichtungen der Kinder- und
Jugendfürsorge. Aber auch in eine Heilanstalt für Tuberkulosekranke auf dem
ehemaligen Exerziergelände flossen Gelder, und wohl auch in die dort
errichteten Spiel- und Sportstätten. Auf dem im Volksmund als »Exer« bezeichneten ehemaligen Militärgelände wurde seit
Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr mit Kanonen, sondern mit Fußbällen
geschossen. So hatte etwa Hertha BSC hier bis 1904 seine erste Spielstätte.
Mosse starb 1920, sein Unternehmen war seit der
Weltwirtschaftskrise angeschlagen, nach der Machtübernahme der Faschisten
erfolgte eine kalte Arisierung. Als die Nazis 1935 jüdische Straßennamen aus
dem Stadtbild tilgten, wurde auch die Mosse-Straße
umbenannt. Nach dem Sieg über den Faschismus erfolgte keine Rückbenennung der
nun im sowjetischen Sektor gelegenen Straße, der liberale Millionär galt als
Klassenfeind. Ohnehin verschwand die Straße unter Trümmerschutt. 1951 wurde auf
dem Gelände anlässlich der III. Weltjugendfestspiele der neue Sportpark
errichtet und nach dem als Turnvater bekannt gewordenen Pädagogen Friedrich
Ludwig Jahn (1778–1852) benannt.
Nur einige Gullideckel
markieren heute noch den Verlauf der historischen Mosse-Straße.
Darauf verweist Holger Siemann beim Spaziergang im
Sportpark. Zusammen mit Lokalhistorikern und Mitgliedern des
Fußballkulturvereins »Gesellschaftsspiele« forscht der im Kiez lebende
Schriftsteller zur Geschichte des Geländes und setzt sich für das Gedenken an
die Familie Mosse ein. »Wir wollen eine Form des
Gedenkens mit Leuten, die den Platz nutzen«, sagt Siemann
mit Blick auf dessen 130jährige Fußballgeschichte. Unterstützung kommt vom
Fanprojekt Berlin, das sich an Anhänger von Hertha BSC und Fans des BFC Dynamo,
der zu DDR-Zeiten im Sportpark kickte und heute wieder dort aufläuft, richtet.
Am Donnerstag lud der Kulturverein zu
einem Pressegespräch. Für das 100. Jubiläum der Benennung der verschwundenen Mosse-Straße im Mai ist entlang deren Verlaufs eine
Ausstellung zur Geschichte des Sportgeländes, ausgewählter Fußballvereine sowie
der Mosse-Familie in Vorbereitung. Stadtführungen,
Audio-Podcast und eine Mosse-Zeitung zur Information
über den historischen Ort sind geplant. Mitte Juni 2020 sollen dann
Mannschaften der D- und E-Jugend von Vereinen, die einen historischen Bezug zu
dem Gelände haben, um einen Mosse-Pokal kicken.
Das Stadion im Jahn-Sportpark soll im
kommenden Sommer abgerissen und durch einen modernen, behindertengerechten
Neubau mit derselben Anzahl von Plätzen (20.000) ersetzt werden. Für Janusz
Berthold von »Gesellschaftsspiele« wäre das eine Gelegenheit, die bislang
namenlose Arena »Mosse-Stadion« zu nennen und so auch
einen Kontrapunkt zum antisemitischen Deutschtümler
Jahn als dem Namenspatron des Sportparks zu setzen. Dass der eigentlich
nationalliberale Mosse auch die zur Bekämpfung des
Spartakusbundes gegründete Antibolschewistische Liga finanziell unterstützte,
ist für jW-Autor Berthold kein
gravierender Einwand: »Mosse war en juter Mensch mit jutem Herz, doch
er konnte seiner Klasse nicht entfliehen.«