junge Welt 16.12.2006 / Geschichte / Seite 15

 


Opfer der Weltpolitik

Vor 60 Jahren zerschlugen iranische Truppen die mit sowjetischer Hilfe gegründete kurdische Republik von Mahabad

Von Nick Brauns

Mit dem kampflosen Einmarsch iranischer Truppen in die Stadt Mahabad endete Mitte Dezember 1946 die Geschichte des ersten kurdischen Staates der Neuzeit. Knappe elf Monate vor der Rückeroberung des Gebietes durch die Armee von Mohammad Reza Schah Pahlavi hatte der Richter Ghazi Mohammed am 23. Januar 1946 auf dem Vier-Lampen-Platz der kurdischen Stadt im Nordwesten des Iran die »Republik Kurdistan« ausgerufen. Der zukünftige Präsident der kurdischen Republik trug dabei zu einer Generalsuniform der Roten Armee den traditionellen weißen Turban seines religiösen Amtes. Diese Kleidung symbolisiert das widersprüchliche Bündnis zwischen der Sowjet­union und den kurdischen Stämmen.

Staat und Kultur

Tatsächlich stand die Sowjetunion Pate für diese kurzlebige kurdische Republik. Während des Zweiten Weltkrieges rückten einem britisch-sowjetisch-iranischen Vertrag vom Januar 1942 gemäß britische Truppen in den Süden Irans ein und sowjetische Truppen in den Norden. Zwischen den Zonen entstand ein Machtvakuum. Um den Einfluß der USA und Großbritanniens auf den Iran zurückzudrängen und Ölkonzessionen in Nordpersien zu erlangen, hatten sowjetische Agenten bereits Anfang der 40er Jahre Kontakte zu kurdischen Intellektuellen und Stammesführern aufgenommen. Insbesondere das 1943 in Mahabad gegründete Komitee für die Auferstehung Kurdistans (Komala) geriet zunehmend unter den Einfluß Moskaus. Auf sowjetischen Rat wählte die Untergrundorganisation den angesehenen Richter Ghazi Mohammed zum Vorsitzenden, trat dann 1945 an die Öffentlichkeit und benannte sich in Demokratische Partei Kurdistans (DPKI) um. Das Manifest der DKPI berief sich auf die Versprechen der Atlantik-Charta und forderte Autonomie der Kurden im Iran, kurdisch als Unterrichts- und Amtssprache, den Aufbau der Wirtschaft und des Gesundheits- und Bildungswesens sowie friedliche Beziehungen zu den anderen Volksgruppen im Iran.

Nachdem am 12. Dezember 1945 in Tabriz eine Autonome Republik Aserbaidschan unter kommunistischer Führung ausgerufen wurde, nutzten die Anhänger der DKPI die Gunst der Stunden und stürmten den Justizpalast von Mahabad. Sie hißten die rot-weiß-grüne kurdische Nationalfahne mit der gelben Sonne und wählten ein Nationalparlament mit 13 Ministern, das Ghazi Mohammed zum Präsidenten der Republik Kurdistan bestimmte.

Die frisch gegründete Republik umfaßte ungefähr ein Drittel des kurdischen Siedlungsgebietes im Iran mit rund einer Million Einwohnern. Sie erstreckte sich von Baneh und Sardascht im Süden entlang eines schmalen Streifens an der irakischen und türkischen Grenze bis nach Maku und zur sowjetischen Grenze.

Die bedeutendsten Leistungen vollbrachte die Republik auf kulturellem Gebiet. Der asketisch lebende und kosmopolitisch gebildete Ghazi Mohammed hatte die beiden Dichter Hajar und Hemin in seinem Beraterstab berufen. Kurdisch wurde zur Amts- und Unterrichtssprache. Auf einer von der UdSSR zur Verfügung gestellten Druckpresse wurden kurdischsprachige Lehrbücher und Zeitschriften publiziert.

Während kurdische Dichter pro forma Lobeshymnen auf Stalin verfaßten, blieb eine Sowjetisierung wie in der aserbaidschanischen Republik allerdings aus. Feudale Großgrundbesitzer innerhalb der DPKI stellten sich gegen eine Landreform. Die Mehrzahl der strenggläubigen Stammeskurden wahrte gegenüber der atheistischen Sowjetunion Distanz, da sie die blutigen Kriegszüge des zaristischen Rußland im Osmanischen Reich nicht vergessen hatten.

Für kurdische Patrioten in allen Teilen der auf vier Staaten aufgeteilten Nation wirkte Mahabad als Magnet. Der legendäre Partisanenführer Mustafa Barsani kam mit tausend Stammeskriegern und ihren Familien auf der Flucht vor irakischen Regierungstruppen nach Mahabad. Der Vater des jetzigen Präsidenten der kurdischen Regionalregierung im Nordirak wurde neben Ghazi Mohammed zum starken Mann der Republik.

Kurdische Offiziere der irakischen Armee desertierten, um ihr Wissen den Nationalen Streitkräften von Mahabad zur Verfügung zu stellen, und der kurdischstämmige Offizier der Roten Armee Saladin Kasimov wurde als Militärberater geschickt. Die zugesagte sowjetische Militärhilfe blieb allerdings weitgehend aus. Statt der versprochenen Panzer wurden lediglich Gewehre, einige Lastwagen und Jeeps geliefert. Die angekündigten Panzerabwehrwaffen entpuppten sich als normale Molotowcocktails. So war die Republik von Mahabad auf den Schutz der UdSSR angewiesen.

Iranischer Überfall


Als es der Sowjetunion im Frühjahr 1946 gelang, die geforderten Ölkonzessionen in Nordpersien zu erhalten, mußte sich die Rote Armee im Gegenzug aus dem Iran zurückziehen. Dies war das Todesurteil für die kurdische und aserbaidschanische Republik. Genau ein Jahr nach der aserbaidschanischen Unabhängigkeitserklärung stürmte die iranische Armee am 10. Dezember Tabriz und setzte die Volksregierung ab. Nachdem sich eine Reihe kurdischer Stämme aufgrund antisowjetischer Ressentiments von der Kurdischen Republik abgewandt hatten, mußte auch Mahabad kampflos kapitulieren. Am 17. und 18. Dezember wurden zahlreiche Kurden, darunter Ghazi Mohammed, verhaftet. Der ehemalige Präsident der Kurden-Republik wurde zusammen mit seinem Vetter Seif und seinem Bruder Sadr im Morgengrauen des 31. März 1947 auf dem Vier-Lampen-Platz hingerichtet. Wieder einmal waren die Kurden zum Opfer der Weltpolitik geworden. »Nicht von der iranischen Armee wurden die Kurden besiegt. Es war vielmehr die Sowjetunion, die von den USA und von Großbritannien besiegt worden ist«, meinte Mustafa Barsani, der mit 500 Kriegern im Juni 1947 ins sowjetischen Exil geflohen war. Die kurzlebige Republik von Mahabad wurde zum Symbol kurdischer Selbstverwaltung und ist es bis heute geblieben.

Im vergangenen Jahr kam es nach der Ermordung eines jungen Kurden durch iranische Sicherheitskräfte in Mahabad zu Massenprotesten gegen das Teheraner Regime. Seitdem haben Auseinandersetzungen zwischen kurdischen Guerillakämpfern und der iranischen Armee zugenommen. Hartnäckig halten sich Gerüchte, die kurdische Guerilla würde von den USA und Israel unterstützt. Die iranische wäre ebenso wie die syrische und türkische Regierung gut beraten, die Erkenntnis von Archie Roosevelt jr. zu beherzigen, der 1946/47 als stellvertretender US-Militärattache in Teheran gedient hatte: »Wenn die Staaten, in denen die Kurden leben, ihren kurdischen Bevölkerungsteilen einen gewissen Grad lokaler Selbstverwaltung zugestehen und den Versuch aufgeben, ihnen einen fremden Nationalismus aufzuzwingen, dann kann es ihnen gelingen, eine Staatstreue zu schaffen, die der der Schweiz mit ihrer aus vielen Nationen bestehenden Bevölkerung vergleichbar ist. (...) Eine ähnliche Politik könnte im Iran, wenn er von ausländischer Unterwanderung verschont bliebe, eher zu größerer Einigkeit als zu Loslösungsbestrebungen unter zwei der Völker dieser Nation führen.«

Quellentext: Die Gründe des Scheiterns der kurdischen Republik

Dieser jüngste Versuch, einen kurdischen Staat zu gründen, endete mit der Besetzung Mahabads durch iranische Truppen. Wie frühere Versuche schlug er hauptsächlich deshalb fehl, weil unter den Kurden selbst Uneinigkeit herrschte. Es ist ein Dilemma des kurdischen Nationalismus, daß nicht nur seine Führer, sondern praktisch seine gesamte Massenbasis von den gebildeteren Stadtbewohnern kommen muß, während seine militärische Stärke immer nur von den Stämmen und ihren Führern kommen mußte. Während des Jahres 1946 verhielten sich die kurdischen Stämme, von Natur aus Gegner jeglicher Regierungskontrolle, gegenüber Ghazi Mohammed ebenso widerspenstig, wie sie sich der Zentralregierung gegenüber verhalten hatten, obwohl Ghazi zu ihrem eigenen Volk gehörte.

Wegen dieser Einstellung und wegen ihres Mißtrauens gegenüber Ghazis Verbindungen zu den Sowjets schlugen sich fast alle Stämme auf die Seite der iranischen Armee. Der wichtigste unmittelbare Grund für den Zusammenbruch der Republik war das Ausbleiben der sowjetischen Unterstützung. Eine junge und starke nationalistische Partei, die eine Mehrheit der gebildeteren Kurden hätte einigen können, wurde von Ausländern unterwandert, die sie für ihre eigenen Zwecke benutzten und dann nichts gegen ihre Vernichtung unternahmen. Der Kleinstaat war unter dem Schutz der Roten Armee errichtet worden und er bestand nach Abzug der Roten Armee nur weiter, da die Möglichkeit ihrer Rückkehr bestand. Als die Kurden nicht mehr länger darauf hoffen konnten und die iranische Regierung diese Rückkehr nicht länger befürchten mußte, gab es keine Überlebensmöglichkeit mehr für Ghazi Mohammeds Bewegung.

Aus: Archie Roosevelt jr. »Die kurdische Republik Mahabad« (1947), in: Gerard Chaliand (Hg.), Kurdistan und die Kurden, Bd. 1, Göttingen 1984#