junge Welt 06.10.2007 / Geschichte / Seite 15
Wenige Prozesse im deutschen Kaiserreich fanden so viel
internationale Beachtung wie der Hochverratsprozeß gegen Karl
Liebknecht vor dem Leipziger Reichsgericht im Oktober 1907. Dieses
Verfahren, über dessen Verlauf sich Kaiser Wilhelm II.
telegraphisch Bericht erstatten ließ, ist zugleich ein
glänzendes Beispiel für die politische Verteidigung eines
Revolutionärs vor der bürgerlichen Justiz.
Gegenstand
der Anklage war Liebknechts im Februar 1907 erschienene Schrift
»Militarismus und Antimilitarismus unter besonderer
Berücksichtigung der internationalen Jugendbewegung«, in
der er den inneren und äußeren Militarismus verschiedener
Länder, insbesondere Preußen-Deutschlands, analysierte und
sich für eine antimilitaristische Agitation der Sozialdemokratie
unter der wehrpflichtigen Jugend aussprach. Auf Antrag des
preußischen Kriegsministers Karl von Einem vom 17. April ließ
Oberreichsanwalt Justus von Olshausen die Broschüre
beschlagnahmen und leitete einen Prozeß wegen Vorbereitung
eines hochverräterischen Unternehmens ein.
Die zum Teil
wörtlich dem Schreiben des Kriegsministers entnommene
Anklageschrift warf Liebknecht vor, er habe die gewaltsame Änderung
der Reichsverfassung durch Beseitigung des stehenden Heeres in
Verbindung mit der Aktivierung der Truppen für die Revolution
vorbereitet, indem er in seiner Broschüre zur umfassenden
antimilitaristischen Propaganda aufrief.
»Wegen des Hochverrats geht man mir ernstlich zu Leibe«,
schrieb Liebknecht am 20. Mai 1907. »Die Anklage ist ganz
schlau – allerdings beruht sie zum Teil auf plumpen
Mißverständnissen. Natürlich kann ich kein
Versteckspielen treiben – und daß das nicht zu leugnende
Material bei üblicher staatsanwaltlicher Deutung für meine
›Verdammnis‹ ausreicht, weiß jedes Kind der
Kriminaljurisprudenz« (Der Hochverratsprozeß gegen Karl
Liebknecht 1907 vor dem Reichsgericht, Berlin 1957, S. 15). Mit
»Mißverständnis« meinte Liebknecht von der
Anklage aus dem Zusammenhang gerissene und in ihr Gegenteil verkehrte
Zitate. Absurd war insbesondere der Vorwurf, er wolle einen Krieg
zwischen Frankreich und Deutschland provozieren, da der
Kriegsausbruch der günstigste Moment für die Entfaltung der
proletarischen Macht sei. Geschrieben hatte Liebknecht vielmehr, dies
sei die ungünstigste Situation. Und den von französischen
Sozialisten propagierten Militärstreik hatte Liebknecht als
»phantastisch« abgelehnt.
Zu Prozeßbeginn am
9. Oktober 1907 war ein starkes Polizeiaufgebote vor dem Leipziger
Reichsgericht in Stellung gegangen. Seit mehreren Tagen waren die
Karten für den Zuschauerraum vergriffen. Offiziere und
Reichsgerichtsräte beobachteten das Verfahren aus Logen an den
Schmalseiten des Saales, während mehrere Abgeordnete aus
Deutschland und Österreich im Zuschauerraum Platz nahmen.
Verteidigt wurde Liebknecht von den Anwälten Hezel, Hugo Haase
und Kurt Rosenberg.
Liebknecht bezeichnete den Prozeß
als »erste große Kavallerieattacke« in einem
»systematischen Feldzug gegen den Antimilitarismus und die
Jugendbewegung« (Gesammelte Reden und Schriften, Bd. 2, S.
158). Insbesondere wies er den Vorwurf der Anstachelung zur Gewalt
zurück. »Mein Zweck ist, an Stelle der Kriegsbegeisterung
eine höchst intensive Friedensbegeisterung zu setzen. Das ist
der Kern und die Konsequenz meiner Schrift« (ebd., S. 159).
Zwar deckte Liebknecht die Verfälschung seiner Äußerungen
durch den Oberreichsanwalt auf. Doch im Vordergrund stand für
ihn nicht die Rettung seiner Haut, sondern die Ausnutzung des
Gerichtssaals als Tribüne gegen Militarismus und Kriegsgefahr.
So bestand er auf wörtliche Verlesung seiner Broschüre vor
Gericht, damit der Text ins Protokoll kam und als gerichtliches
»Beweismittel« auch außerhalb des Gerichtssaals zur
Agitation genutzt werden konnte.
Heiterkeit löste der als
einziger Zeuge der Verteidigung geladene SPD-Vorsitzende August Bebel
mit seiner Äußerung aus, bei hochverräterischen
Unternehmen »sachverständig« zu sein (ebd., S. 141).
Schließlich war Bebel 1872 zusammen mit Liebknechts Vater
Wilhelm wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« vom Leipziger
Schwurgericht zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt worden. Er hätte
sich zwar gegen die von Liebknecht geforderte spezielle
antimilitaristische Agitation ausgesprochen, da weniger juristisch
geschulte Parteimitglieder dabei mit dem Gesetz in Konflikt geraten
könnten. Doch sei ihm niemals der Gedanke gekommen, daß
Liebknecht Vorbereitung zu Hochverrat betreiben wolle, so Bebel.
In
seinem Schlußplädoyer wies Liebknecht den vom
Oberreichsanwalt erhobenen Vorwurf »ehrloser Gesinnung«
zurück. »Meine Ehre ist mein, (...) und wenn Sie mich ins
Zuchthaus schicken und mir die Ehrenrechte absprechen: Ich werde
innerlich nicht berührt. (...) Aber dem Oberreichsanwalt ganz
besonders möchte ich nach dem, was hier zutage getreten ist,
jede Legitimation absprechen, von meiner Ehre auch nur zu reden!«
(ebd., S. 161 f.) Für den Antimilitarismus sei während des
Prozesses glänzende Propaganda gemacht worden, bilanzierte
Liebknecht. »Und es hat sich hier von neuem gezeigt, was im
politischen Prozeß die Regel ist: Der Pfeil kehrt sich gegen
den Schützen und trifft den Schützen! Ich fühle mich
hier nicht als Angeklagter, wenn ich auch verurteilt werde«
(ebd., S. 162).
Senatspräsident Ludwig Treplin verkündete am 12.
Oktober nach halbstündiger Beratung das Urteil. »Der
Angeklagte ist schuldig der Vorbereitung eines hochverräterischen
Unternehmens und wird mit Festungshaft in der Dauer von einem Jahre
sechs Monaten bestraft« (ebd., S. 163). Von der vom
Oberreichsanwalt beantragten härteren Zuchthausstrafe von zwei
Jahren hatte das Gericht abgesehen, da keine »ehrlose
Gesinnung« als Motiv vorliege, vielmehr habe der Angeklagte aus
einer »politischen Überzeugung« gehandelt
(Hochverratsprozeß, S. 164). Die Broschüre und die
Druckplatten seien einzuziehen und unbrauchbar zu machen. Wie aus den
Prozeßakten hervorgeht, waren bis November 1907 gerade einmal
68 Exemplare von »Militarismus und Antimilitarismus«
beschlagnahmt worden. Gleichzeitig war eine Zweitauflage in der
Schweiz in Vorbereitung.
Vor dem Reichsgericht empfingen
Tausende Arbeiter den »Hochverräter«. »Zahlreiche
Zurufe bekundeten die Überzeugung, daß trotz der
Verurteilung der eigentlich Geächtete nicht Liebknecht sei und
daß unser Genosse Liebknecht mannhaft und erfolgreich für
die Sache der Befreiung der Arbeiterklasse und für seine
Überzeugung gefochten habe« (ebd.), hieß es im
SPD-Organ Vorwärts.
Der sozialdemokratische
Parteivorstand beschloß, das Prozeßprotokoll in einer
billigen Massenbroschüre zu vertreiben, und Bebel würdigte
Liebknechts Kampf vor Gericht mit den Worten: »Liebknechts
Ansehen ist nicht nur in den Augen seiner Freunde, sondern auch
seiner Gegner ganz gewaltig gewachsen durch die tapfere und
geschickte Art, wie er seinen Richtern und vor allem dem Reichsanwalt
gedient hat. Das ist dem grauköpfigen Reichsanwalt in seinem
Leben noch nicht passiert, daß ihn ein Angeklagter so
heimgeschickt hat wie unser Freund und Genosse Karl Liebknecht«
(Vorwärts vom 18. Oktober 1907).
Sein Wille zum
Widerstand gegen Militarismus und Imperialismus sei ungebrochen,
versprach Liebknecht am 20. Oktober auf einer Massenkundgebung in der
Berliner Hasenheide. Vier Tage später trat er seine Haft in der
Bergfeste Glatz in Schlesien an.
Der wirkliche Grund der Anklage ist klar. Dieser Grund ist nicht
juristisch, sondern politisch, und darum ist es so schwer, diese
Anklage juristisch anzufassen. Sie ist kurzweg ein Akt der
Staatsräson, nicht ein Akt der Justiz. In einer Schrift, die den
Zweck verfolgt, Frieden zu säen anstatt Krieg, die eine
Friedhaftmachung der Weltpolitik anstrebt, die sich wendet gegen den
waffenstarrenden Militarismus, gegen dasjenige Instrument der
Gesellschaft, dessen Zweck und Wesen die Gewalt ist; in einer solchen
Schrift soll – indem man den Spieß umdreht – die
Vorbereitung zu Gewalttätigkeiten gefunden werden! O nein! Die
Gewalt wird verteidigt durch diese Anklage gegen die Versuche zur
Beseitigung der Gewalt. So steht´s in Wirklichkeit. Ich will
den Frieden, der Oberreichsanwalt aber die Gewalt. Ich verfolge den
Zweck, die Entscheidung über Krieg und Frieden aus dem Dunkel
der Kabinette und Diplomatenschleichwege herauszuholen und an das
Licht der Öffentlichkeit zu ziehen. Das fassen die Herren ganz
besonders unwillig auf. Ich will, daß die Entscheidung über
Krieg und Frieden dem Willen des ganzen Volkes unterstellt werde.
aus: Karl Liebknecht: Gesammelte Reden und Schriften, Bd. 2, S. 160 f.