Universität in der „Hauptstadt der Bewegung“

Neues Forschungsprojekt an der Münchner Universität gestartet

 

Der Zeitpunkt war gut gewählt. Während sich die Feuilletons im Antisemitismusstreit um Möllemann und Walser geradezu überschlagen und das Verhältnis zur nationalsozialistischen Vergangenheit die Tagespolitik dominiert, kündigte der Rektor der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) ein neues Projekt zur Erforschung der Geschichte seiner Universität in der NS-Zeit an.

Jetzt sei die Zeit reif für eine systematische Aufarbeitung, erklärte Rektor Andreas Heldrich am Dienstag auf einer Pressekonferenz. Denn erst jetzt bestehe der nötige zeitige Abstand zu den Ereignissen und die maßgeblichen Personen seien inzwischen alle tot.

Drei Leitideen stehen bei der Aufarbeitung der Geschichte im Fordergrund: Rassismus an der LMU, Militarisierung ihrer Mitglieder und die Vernetzung der Universität mit den Machtzentralen des Nationalsozialismus in München. Für die Historikerin Dr. Elisabeth Kraus wurde eine zweijährige Forschungsstelle geschaffen.

 

Nicht nur die sogenannte „kämpfende Wissenschaft“, die – wie die Geschichtsforschung – unmittelbar zur Legitimation des Regimes beitrug, hatte eine direkte Anbindung an den Nationalsozialismus. „So hob die Biologisierung des politischen und sozialen Denkens, die den Nationalsozialismus zutiefst kennzeichnet, Medizin und Biologie in den Rang von Leitwissenschaften“, betonte der Historiker Hans-Günter Hockerts. „Der Komplex `Bevölkerungspolitik und Großraumplanung´ - mit fließenden Übergängen zu ethnischer Säuberung und Vernichtung – integrierte Soziologien, Juristen, Geographen, Agrarwissenschaftler und Historiker. Als Teil der nationalsozialistischen Rüstungspolitik trat die Wissenschaft mit anwendungsbezogenen Forschungen hervor: von der Rohstoffersatzproduktion im Zeichen der Autarkie bis zu den kriegsbeeinflussenden Schlüsseltechnologien.“

 

So wirkten der „Stellvertreter des Führers“ und der „Reichsärzteführer“ bei den medizinischen Berufungen mit. In der Altphilologie wurden zwar die älteren Professoren durch stramme Nationalsozialisten als Dozenten ersetzt, doch in der Praxis folgte daraus lediglich eine vermehrte Beschäftigung mit Tacitus „Germania“. Die Theologische Fakultät wurde dagegen 1939 per Ministerialerlass geschlossen, da sich Kardinal Faulhaber aufgrund des Konkordats von 1924 einer Neubesetzung des Lehrstuhls für Kirchenrecht widersetzte. Ab der zweiten Hälfte der 30er Jahre boten zudem viele Fakultäten regelmäßige wehrkundliche Veranstaltungen an.

 

„Diese Personen sind eines deutschen akademischen Grades unwürdig“ – mit dieser Begründung wurden während der NS-Diktatur über 150 Akademikern – vor allem Emigranten und Regimegegnern - die Doktorwürde wieder aberkannt. Der bekannteste Fall eines Titelentzuges betraf Kurt Huber, der als Mitglied der „Weiße Rose“ noch kurz vor seiner Hinrichtung seinen Titel zurückgeben musste. Die Titelaberkennungen wurden nach 1945 nicht etwa automatisch für ungültig erklärt sondern nur auf ausdrücklichen Wunsch der Betroffenen im Einzelfall rückgängig gemacht. Umgekehrt wurde nach 1945 außer im Falle des KZ-Arztes Mengele, der in München und Frankfurt promoviert hatte, keine einzige der pseudowissenschaftlichen Promotionen über Rassekunde für ungültig erklärt.

 

In verschiedenen Fachbereichen gab es bereits vor 1933 eine starke Affinität mit dem nationalsozialistischen Gedankengut. 1921 wurde der ehemalige Heeresoffizier Karl Haushofer zum Professor für Geographie berufen. Haushofer hatte sich durch die „Lebensraumtheorie“ einen Namen gemacht, die besagte, dass kulturell „führende“ aber „bodenarme“ Staaten nur durch räumliche Ausdehnung überleben könnten. Über seinen Assistenten Rudolf Heß kam Haushofer in Kontakt mit Adolf Hitler, als dessen außenpolitischer Berater er fortan fungierte. Als „Kampf um den Lebensraum im Osten“ gingen Haushofers Theorien in Hitlers Programm ein.

Die reichsweit erste Professur für Rassenhygiene wurde 1927 an der Münchner Universität eingerichtet. Und das sprachwissenschaftliche Institut für Indologie wurde schon vor 1933 in eine Abteilung für Arische Kulturwissenschaft umgewandelt.

 

Es ist zu hoffen, dass das Forschungsprojekt „LMU in der NS-Zeit“ nicht zur bloßen Imagepflege missbraucht wird. Denn nationalistische und völkische Umtriebe gab und gibt es an der LMU bis zum heutigen Tag. So lehrte Theodor Maunz, der unter Pseudonym für Artikel für die  „Nationalzeitung“ schrieb, in München Jura und Professor Adler, der den Holocaust „anzweifelt“ unterrichtet Politologie. Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibeslfeld überträgt in sozialdarwinistischer Weise tierisches Verhalten auf Menschen und meint, dass Rassismus angeboren ist. Rechte Burschenschaften können – wie die erst jüngst wegen Fluchthilfe für einen Neonazi in die Schlagzeilen gekommene Danubia – ihr nationalistisches Unwesen an der LMU treiben und haben dafür von der Uni-Leitung Schaukästen im Hauptgebäude reserviert bekommen.

 

Die vom Studentischen Sprecherrat seit Jahren geforderte Umbenennung der LMU in Geschwister-Scholl-Universität wäre ein deutliches Eingeständnis, dass die Uni bereit ist, sich ihrer Verantwortung aus der Geschichte zu stellen.

 

Nick Brauns

 

München, 6. Juni 2002