"Tauben
mit Ölzweigen"
Neue kurdische
Literatur bei Unrast
Von Nick
Brauns
Neben den Romanen Yasar Kemals bestimmten bisher vor
allem politische Schriften das Bild kurdischer Literatur in Deutschland Nun hat
sich der engagierte Unrast Verlag entschlossen, eine Edition anspruchsvoller
kurdischer Literatur zu verlegen. Herausgeber der nach dem Wahrzeichen
Kurdistans, dem biblischen Berg Ararat benannten Edition ist der
Literaturwissenschaftler Yusuf Yesilöz. In Deutschland wurde Yesilöz bekannt
durch sein Buch "Vor Metris steht ein hoher Ahorn", indem er seine
Hafteindrücke in türkischen Gefängnissen geschildert. Wegen der Herausgabe
einer "Einführung in die kurdische Literatur" war er bei einer
Türkeireise 1996 wochenlang gefangengehalten und gefoltert worden.
Als erster Band der Edition Ararat ist "Schnee
auf schroffen Bergen" der Schriftstellerin Sutan Samanci erschienen. Im
Gegensatz zu vielen anderen Intellektuellen hat sie das Land nicht verlassen
und lebt bis heute in Kurdistans heimlicher Hauptstadt Dyiabakir. Diese
Erfahrung verleiht ihrem Werk Aktualität und Realismus.
Dyiabakir ist das Zentrum des kurdischen
Widerstandes. Mitte der 90er Jahre herrschte die Doppelherrschaft in der
Großstadt. Tagsüber dominierte das türkische Militär mit Panzern die Straßen.
Nachts bewegte sich die PKK-Guerilla unter der Bevölkerung wie ein Fisch im
Wasser. Militärisch hat der türkische Staat inzwischen die Hoheit über die
Stadt zurückgewonnen, aber politisch dominiert die kurdische Nationalbewegung.
Mit absoluter Mehrheit wählten die Einwohner von Dyiarbakir einen kurdischen
Bürgermeister und dieses Jahr feierten Hunderttausende erstmals fast ungestört
das Newroz-Fest.
In ihren Kurzgeschichten beschreibt Suzan Samanci
eindrucksvoll das Leben in der belagerten Stadt und dem besetzten Land. Sie
zieht den Leser mit Schilderungen über das bunte Leben in der Stadt oder die
Schönheit der Natur in ihren Bann. Doch jedesmal brechen die Träume jäh ab.
Ferne Explosionen, ein Düsenjäger oder das Rasseln der Panzerketten erinnern daran,
daß in Kurdistan Krieg herrscht. Allgegenwärtig ist die Angst. "Klick
klack" - das Geräusch des Spannens einer Waffe verfolgt die Menschen noch
im Schlaf. Hunderte kurdischer Intellektueller, Gewerkschafter und Künstler -
darunter der Nationalschriftsteller Musa Anter - wurden von Todesschwadronen
auf offener Straße ermordet oder verschleppt. Schnell wechseln die Identitäten
der Erzähler. Mal ist es ein Guerillakämpfer, der vor dem Kampf die Schönheit
der Berge genießt. Dann wird die seelische Zerrüttung eines Folterspezialisten
der Konterguerilla geschildert, der sich selbst richtet. Auf einer wahren
Begebenheit beruht die Schilderung der letzten Eindrücke im Leben des Arztes
Hasan Kaya und des Anwalts Metin Can. 1993 wurden sie von der Konterguerilla in
eine Falle gelockt und ermordet.
"Wenn ich versuche, die Schreie, die ans Ohr
dringen, in Lieder zu verwandeln, möchte ich aus den Spuren des häßlichen
Krieges Tauben mit Ölzweigen im Schnabel aufsteigen lassen", drückt Frau
Samaci ihre Hoffnung auf einen Friedensprozeß in ihrer Heimat aus.
Den Niedergang eines kurdischen Dorfes beschreibt
der im schwedischen Exil lebende Schriftsteller Mahmut Baksi im zweiten Band
der Edition Ararat, dem Roman "Dono". Lange war Dono ein blühendes
Dorf gewesen, in dem Kurden und Armenier nachbarschaftlich zusammen lebten.
Doch der Staat hetzte die Völker gegeneinander. Die Armenier werden vertrieben.
Als die Dorfgemeinschaft einmal zerstört war, sind die kurdischen Bewohner
selber das nächste Opfer. Der kurdische Großgrundbesitzer Aga Haci Zorav
unterwirft sich mit Duldung des türkischen Staates das Dorf. Mit ihm zieht
moderne Technologie ein und die kurdischen Landarbeiter werden vertrieben.
"Mit dem Auszug der Armenier und der Ankunft der Traktoren änderte Dono
sein Gesicht. Das ehemals blühende Dorf, der Ort der Väter und Vorväter, wurde
jedes Jahr kleiner, zerfallener, melancholischer." Doch auch der Aga ist
an die Regeln des Feudalismus gebunden. Als er eine junge Frau gegen ihren
Willen zur Drittfrau nimmt und seinen Berater der Polizei ausliefert, richten
ihn die Dorfbewohner
Suzan Samanci: Schnee auf schroffen Bergen, Edition
Ararat Bd. 1, Unrast Verlag Münster, 124 S. gebunden, 24,80 DM
Mahmut Baksi: Dono, Edition Ararat Bd. 2, Unrast
Verlag Münster, 106 S., gebunden, 24.80 DM