„Die Gülen-Bewegung will ihren schlechten Ruf aufpolieren“

Ein Gespräch mit Dr. Nick Brauns

Vergangenen Montag wurde in Berlin mit einem Festakt der Baubeginn für das „House of One“ begangen. In dem „Bet- und Lehrhaus“ sollen eine Kirche, eine Moschee und eine Synagoge untergebracht werden. Das Projekt soll dem interreligiösen Dialog dienen. Ist so etwas nicht positiv?

NB: Natürlich ist es zu begrüßen, wenn verschiedene Religionsgemeinschaften sich nicht blutig bekämpfen, wie so oft in der Geschichte, sondern den Dialog suchen und gemeinsame humanistische Werte betonen. Beim House of One suchen allerdings nur die drei abrahamitischen Religionen, die ja gemeinsame Wurzeln haben, den Dialog. Es gibt hier keine Hindus oder Buddhisten oder Aleviten. Das ist allerdings nicht meine Hauptkritik an dem Projekt.

Sondern?

NB: Die Träger des House of One sind die evangelische Kirchengemeinde Sankt Petri / Sankt Marien, die Jüdische Gemeinde zu Berlin und das Abraham Geiger Kolleg für Rabbinerausbildung in Potsdam. Die muslimische Seite wird vom „Forum Dialog“ vertreten. Auf der Website dieser Vereinigung, heißt es, dass sie „von deutschen Muslimen mit überwiegend türkischer Migrationsgeschichte“ gegründet wurde, „deren Inspiration auf die Lehren und die Werte des muslimischen Gelehrten Fethullah Gülen zurückgeht“. Früher hieß das Forum Dialog noch Forum für interkulturellen Dialog und es trat als quasi offizielles Sprachrohr der Gülen-Bewegung auf. Die Gülen-Sekte ist unter Muslimen in Deutschland isoliert, insbesondere türkeistämmige Muslime werden keinen Fuß in das House of One setzen.

Wissen die beteiligten evangelischen und jüdischen Gruppen nicht, wen sie sich mit dem Forum Dialog ins Boot geholt haben?

NB: Ich denke doch. Aber wahrscheinlich ist man dort froh, überhaupt einen muslimischen Partner gefunden zu haben. Andere Islamverbände waren entweder nicht bereit, sich an so einem Projekt zu beteiligen, oder sie waren unerwünscht, weil sie von islamistischen Strömungen dominiert werden. Für die Gülen-Bewegung wiederum ist das House of One eine gute Gelegenheit, ihr nach dem Puschversuch vom Juli 2016 in der Türkei auch in Deutschland angeschlagenes Image wieder aufzupolieren. Schließlich gab es inzwischen eine Reihe von Berichten auch in großen Medien, die sich kritisch mit der zuvor lange Zeit ausschließlich positiv dargestellten Gülen-Bewegung befasst haben. Weiterhin überwiegt allerdings eine Berichterstattung, die die Gülen-Anhänger aufgrund der massiven Verfolgung in der Türkei als Opfer erscheinen lässt. Daran wollen die Gülenisten jetzt mit dem House of One anknüpfen und sich ein positives Bild als dialogbereite und offene muslimische Gemeinschaft geben. Während Rabbiner Andreas Nachama beim Festakt am Montag sich ein „Haus des gegenseitigen Respekts“ wünschte, sprach der Gülen-Imam Kadir Sanci davon, dass das House of One solle ein „Ort des Lichts“ werden solle. Das war ein Codewort für die Anhänger der Gülen-Sekte, deren Zentren ja auch Lichthäuser (Isik Evler) heißen. Die Gülen-Bewegung hat ihre Wurzeln bekanntlich in der Bewegung des Predigers Said Nursi, also bei den „Anhängern des Lichts“. Die Gülen-Bewegung sieht das House-of-One also als ihr eigenes Projekt an.

Die Planungen des House of One reichen bis ins Jahr 2011 zurück – damals war die Gülen-Bewegung noch fest in der Allianz mit Erdogan und der AKP und die Berichterstattung über die Sekte in Deutschland war fast ausschließlich positiv. Was war damals der Grund für die Teilnahme der Gülenisten am House of One?

NB: Es ist Fethullah Gülens Überzeugung, dass heute der Säkularismus und philosophische Materialismus so starke Mächte sind, dass die abrahamitischen Religionen hier einen gemeinsamen Abwehrkampf führen müssen. Von daher setzt sich Gülen schon seit langem offiziell für den interreligiösen Dialog ein. Wobei ‚Dialog‘ hier der falsche Ausdruck ist. Besser wäre es, zu sagen, dass Gülen eine Einheitsfront mit jüdischen und christlichen Glaubensgemeinschaften gegen die Kräfte der Aufklärung und Moderne, gegen Säkularismus, Sozialismus und die Evolutionstheorie, sucht. Gleichzeitig versucht die Gülen-Bewegung schon lange, in ihrem Umfeld christliche und jüdische Würdenträger zu sammeln, die der Sekte als Schutz und Tarnung dienen sollen. Der liberale Rabbiner Walter Homolka, dessen Abraham-Geiger-Kolleg zur Rabbinerausbildung aus Potsdam das House of One unterstützt, gehört beispielsweise dem Beirat des Forum Dialog an.

Wie wird dieses Projekt denn finanziert?

NB: Die Kosten des Baus betragen nach derzeitigem Stand rund 47 Millionen Euro. Neben Spenden bekommt das House of One staatliche Zuschüsse. Die Bundesregierung hat vor einem Jahr beschlossen, das Projekt mit 10 Millionen Euro zu unterstützen, die Berliner Landesregierung schießt weitere 10 Millionen Euro zu. Entsprechend waren. Beim Festakt zum Baubeginn sprachen so auch der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), und die Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, Anne Katrin Bohle. Eine wichtige private Sponsorin, die Unternehmerin Catherine Dussmann, hat sich allerdings bereits im März aus dem Unterstützerkreis des House of One zurückgezogen. Sie begründete diesen Schritt damit, dass das Forum Dialog als einziger muslimischer Partner an dem Projekt beteiligt sei und House of One deswegen von anderen muslimischen Organisationen abgelehnt werden.

10 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt sind eine Menge Geld. Wie sieht die Bundesregierung denn heute die Gülen-Bewegung?

NB: Im März 2017 hat der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl, erklärt, die Gülen-Bewegung sei eine „zivile Vereinigung zur religiösen und säkularen Weiterbildung“ und es gäbe keinerlei Beweise für eine Beteiligung der Gülenisten am Putschversuch in der Türkei. Diese Einschätzung des Geheimdienstchefs zielte offensichtlich auf die Manipulation der Öffentlichkeit. Denn dass die Gülen-Sekte auch eine geheime politische Agenda hatte, war schon lange selbst in einer Broschüre der aus Bundesmitteln finanzierten Regierungsberater der Stiftung SWP nachzulesen und sollte dem BND-Chef nicht entgangen sein. Im Frühjahr 2018 gelangte das Nachrichtenmagazin SPIEGEL dann an ein internes Papier der Deutschen Botschaft in Ankara. Darin hieß es, dass alle Informanten der Botschaft sich einig seien, dass die Gülen-Bewegung seit Jahrzehnten eine „gezielte Unterwanderung staatlicher Institutionen“ in der Türkei betreibe. Der konspirative Teil der Bewegung zeichne sich durch strikte Hierarchien aus und erinnere „in seiner Struktur an Erscheinungsformen organisierter Kriminalität“, hieß es weiter in dem Papier. Der „Anspruch der Bewegung auf die Loyalität ihrer Mitglieder“ sei „absolut“. Die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke wollte im vergangenen Jahr wissen, ob es noch gemeinsame Projekte zwischen der Bundesregierung und Vereinigungen aus der Gülen-Bewegung gäbe. Doch die Bundesregierung hat auf die Kleine Anfrage eine Antwort mit der Begründung verweigert, dass andernfalls die Arbeitsweise der Geheimdienste und schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen gefährdet seien. Mit anderen Worten: entweder findet eine Zusammenarbeit zwischen dem deutschen Staat und der Gülen-Sekte ausschließlich auf geheimdienstlicher Ebene statt. Oder aber die Bundesregierung will ihre Kooperationen mit der Sekte nicht offen legen, um Ärger mit der türkischen Regierung zu vermeiden.

Vor dem Putschversuch 2016 war Deutschland für die Gülen-Bewegung ein sicheres Hinterland, in dem Kader rekrutiert und Gelder von Unternehmern gesammelt wurden. Welche Rolle spielt die Bundesrepublik heute für die Gülen-Bewegung?

NB: Deutschland ist heute das neue Zentrum der Gülen-Bewegung. Wichtige Kader aus der Türkei sind hierher geflohen. Über ihre schon lange bestehenden Netzwerke bringen die Gülenisten ihre verfolgten Brüder in Sicherheit und helfen ihnen, sich hier zu etablieren. Amtliche Asylstatistiken zeigen, dass inzwischen mehr ethnische Türken als Kurden fliehen und unter den Türken finden sich überdurchschnittlich viele Akademiker. Gleichzeitig ist die Asylanerkennungsquote der türkischen Flüchtlinge viel höher als diejenige der Kurden. Es hat den Anschein, dass hier insbesondere gut ausgebildete Gülenisten, die auch der deutschen Wirtschaft nützen können, Asyl erhalten. Linke Kurden dagegen bekommen oftmals kein Asyl, obwohl sie in der Türkei scharf verfolgt werden. Doch sie gelten schließlich auch in  Deutschland als Terroristen und sind hier von Seiten des Staates nicht willkommen. Die Bundesregierung und wohl auch die Berliner Landesregierung, die hier das House of One sponsoeren, wissen sehr wohl, mit wem sie es bei der Gülen-Bewegung zu tun haben. Doch sie wollen sich diese Bewegung weiterhin warmhalten für Einflussnahme in der Türkei nach einem möglichen Sturz von Erdogan und auch für eine Einflussnahme unter der türkeistämmigen Migration in Deutschland.

Hat die Gülen-Bewegung denn jemals wieder eine Chance in der Türkei nach den massiven Entlassungen und Inhaftierungen von zehntausenden ihrer Anhänger?

NB: Zum einen wissen wir aus der türkischen Geschichte, dass Leute, die heute noch als vermeintliche Terroristen im Gefängnis sitzen, schon morgen wieder Einfluss in der Politik haben können. Ich erinnere da an Erdogan selbst, der Ende der 90er wegen islamistischer Bestrebungen ins Gefängnis musste und heute der mächtigste Mann in der Türkei ist. Oder an Dogu Perincek und seine Anhänger, die im Zuge des von den Gülenisten eingeleiteten Ergenekon-Prozesses zu langen Haftstrafen verurteilt wurden, aber wieder freikamen und nach dem Putschversuch vorübergehend erheblichen Einfluss auf die türkische Außenpolitik erlangten. Es ist also keineswegs undenkbar, dass die Gülenisten unter einer anderen politischen Konstellation in der Türkei wieder zu Einfluss kommen können. Im öffentlichen Dienst, der Justiz, in Militär und Polizei, im Bildungswesen und in der Wirtschaft haben nach dem Putschversuch Säuberungen stattgefunden. Der einzige Bereich, der verschon blieb, ist die AKP selber. Hier sind wahrscheinlich noch zahlreiche Gülenisten auf Tauchstation. Das ist eine regelrechte Sollbruchstelle für die AKP. Derzeit deuten sich Zerfallserscheinungen in der AKP an, aus der Partei hat eine Absetzbewegung begonnen, einige wichtige frühere AKP-Politiker wie Babacan und Davutoglu bereiten die Gründung neuer konservativer und religiöser Parteien vor. Wenn so eine Partei sich anschickt, die AKP zu beerben, werden die Gülenisten mit am Start sein.

Interview: Süheyla Kaplan für Arti Gercek