Hoffnung für Hasankeyf

Bundesregierung vergibt keine Hermesbürgschaften für Ilisu-Staudamm

 

 

Für die antike mesopotamische Stadt Hasankeyf besteht wieder Hoffnung. Noch vor einem Jahr sah es so aus, als würde dieses einzigartige Kulturerbe der Menschheit in den Fluten des Tigris untergehen. Durch den Bau des Ilisu-Staudammes sollte im Rahmen des Südostanatolienprojektes GAP der mit 313 Quadratkilometer größte Stausee der Türkei geschaffen werden. Neben der Vernichtung unschätzbarer archäologischer Kulturgüter hätte der Staudammbau die Zerstörung von rund 70 Dörfern und die Vertreibung von 36.000 Menschen bedeutet.

Viele Kurden sahen die drohende Überflutung Hasankeyfs im Zusammenhang mit der Verleugnung der ihrer Kultur durch die Türkische Regierung. So hängen Bilder der antiken Stadt, die als nationales Symbol gilt, in vielen kurdischen Wohnzimmern.

 

Da sich die Türkei weigerte, völkerrechtlich bindende Abkommen mit den betroffenen Nachbarstaaten Irak und Syrien, die ebenfalls von Wasser des Euphrat und Tigris abhängen, einzugehen, versagte die Weltbank jegliche Unterstützung. Finanziert werden sollte das Mammutprojekt vor allem mit europäischen Geldern.

Inzwischen haben sich fast alle beteiligten Firmen und potentiellen Geldgeber zurückgezogen. So erklärte im November 2001 die britische Firma Balfour Beatty ihren Ausstieg und Ende Februar 2002 verkündete die Schweizer Großbank UBS ihren Rückzug aus dem Projekt aufgrund der verheerenden Folgen für die Menschen und die Umwelt in der betroffenen Region. Auch aus Italien und weiteren Ländern gab es Absagen.

Die deutsche Bundesregierung war von der Ravensburger Firma Sulzer um eine Hermesbürgschaft von 150 Millionen DM angefragt worden. Gegen die Vergabe dieser Kredite hatten Menschenrechtsgruppen wie medico international, WEED, der Verband der StudentInnen aus Kurdistan YXK und die Deutsch-Kurdische Gesellschaft e.V. im Jahr 2000 die Kampagne „Let´s Save Hasankeyf“ durchgeführt. Bundesweit wurden vor allem an Universitäten Fotoausstellungen, Podiumsdiskussionen, Unterschriftensammlungen und Konzerte durchgeführt und das Medienecho war bemerkenswert. Die PDS brachte mehrere Anträge und Anfragen im Bundestag sowie dem zuständigen Ausschuss ein.

 

Nun war die Kampagne, die von Menschenrechtlern, Umweltschützern und Archäologen gleichermaßen getragen wurde, endlich von Erfolg gekrönt: Es wird keine deutschen Hermes-Bürgschaften zum Bau des Ilisu-Staudamms in Türkisch-Kurdistan geben. Das erklärte die Ministerin für Wirtschaftliche Zusammenarbeit Heidemarie Wieczorek-Zeul bereits am 1. September 2002 auf dem Weltgipfel in Johannesburg gegenüber einem Korrespondenten der Mesopotamischen Nachrichtenagentur. Mitte Oktober bestätigte Frau Wieczorek-Zeul diese Zusage mündlich. Allerdings liegt bis heute keine schriftliche Stellungnahme des Ministeriums vor, da die Bundesregierung wohl hofft, sich stillschweigend aus der Affäre zu ziehen, ohne die türkische Regierung zu verärgern.

 

Dagegen verwies der Petitionsausschuss im Bundestag, dem eine formelle Petition mit Tausenden von Unterschriften gegen die Vergabe der Hermes-Bürgschaften vorlag, im Oktober 2002 in einem Schreiben an medico international darauf, dass die Petition bei der Bundesregierung, den Fraktionsführungen der Parteien und den zuständigen Ministerien außerordentliche Beachtung gefunden habe

 

Der Entschluss der Bundesregierung dürfte – nach dem Rückzug fast aller anderer Beteiligter an dem Projekt - das Aus für den Bau des Ilisu-Staudammes und die Rettung für Hasankeyf bedeuten.

 

Das in der Provinz Batman 30 Kilometer vom geplanten Ilisu-Damm entfernt liegende Hasankeyf ist die älteste erhaltene obermesopotamische Stadt. Schon vor 10.000 Jahren lebten entlang des Tigris Menschen, wie die archäologischen Funde in Tausenden von Höhlen, von denen einige bis heute bewohnt sind, beweisen. Überragt wird die Stadt von der in den Felsen gebauten Festung, von der sich auch der Name der Stadt Hisn Kayfa – „Felsenburg“ – ableitet. Eine Nebenstrecke der berühmten Seidenstraße führte durch Hasankeyf. Noch heute künden die gigantischen Pfeiler einer von den Aturkiden erbauten Steinbrücke aus dem Mittelalter von der strategischen Bedeutung der Stadt. Eine der ältesten Münzprägereien der Welt befand sich in Hasankeyf. Eine Vielzahl von Zivilisationen hat die Stadt in Vieltausendjährigen Geschichte gesehen. Byzantiner, Perser, Araber, Turkmenen und Osmanen herrschten hier unter anderem. Im fünften Jahrhundert war die Stadt Sitz eines nestorianischen Bischoffs und noch heute leben viele Christen in der Umgebung.

 

Dass die Bewohner von Hasankeyf der Zukunft wieder hoffnungsvoller entgegenschauen können, ist schon beim Gang durch die Stadt zu spüren. Die in den letzten Jahren laufenden Vertreibungen aus der Stadt und den umliegenden Dörfer – mal mit Drohungen und Gewalt, mal mit Versprechen und Bestechung verbunden – haben aufgehört. Kein Geheimpolizist folgt mehr misstrauisch jedem Besucher der antiken Stätten. Stattdessen werden Touristen willkommen geheißen. Der steile Aufstieg zur Felsenburg wurde mit neuen Stahlgerüsten abgesichert. Kleine Kinder, an umgehängten Ausweisen als offiziell zugelassene Fremdenführer erkennbar, stehen mit Broschüren über die Geschichte der Stadt bereit. Und entlang des Tigris warten strohgedeckte Fischlokale auf Besucher.

Fröhliches Kindergeschrei ertönt auch über dem Burgberg von Hasankeyf. Der große Platz neben der zerfallenen Moschee und dem islamischen Friedhof ist zum Fußballfeld geworden. Es ist wieder Leben in die eben noch dem Tode geweihte Stadt eingekehrt.

 

„Let´s save Hasankeyf“ – angesichts des oftmals schlechten Zustandes der jahrhundertealten Bauwerke behält diese Parole ihre Gültigkeit. So, wie inzwischen mit internationalen Finanzhilfen die historischen Stadtmauern von Diyarbakir restauriert werden, ist zu hoffen, dass bald auch das Kulturerbe von Hasankeyf gesichert wird.

 

Nikolaus Brauns