Aus: migration, Beilage der jungen Welt vom 21.11.2007

Wölfe ohne Schafspelz

Türkische Rechtsradikale werden seit langem von Unionspolitikern protegiert

Von Nick Brauns



Der Wolf ist das Symbol der türkischen Faschisten, die sich selbst auch als Ülkücüler – Idealisten – bezeichnen. Der Legende nach wurden die Turkstämme im 8.Jahrhundert nach der Niederlage gegen die Chinesen von einem Wolf in das Gebiet der heutigen Türkei geführt.



Am Kottbusser Tor im Herzen Kreuzbergs erinnert ein gemeißelter Stein an Celalettin Kesim. Der türkische Gewerkschafter und Kommunist war 1973 nach Berlin gekommen und arbeitete zuerst als Dreher bei Borsig, dann als Lehrer an einer Berufsschule. Am 5. Januar 1980 verteilt Kesim mit seinen Genossen Flugblätter am Kottbusser Tor, als sie von rund 70 türkischen Faschisten überfallen werden. »Russen raus auf Afghanistan« schreien die Angreifer und »Allah ist groß!« Von einem Messer in die Schlagader getroffen, verblutet der 36jährige Kesim im Schnee.

Nur wenige hundert Meter entfernt machte am 28.Oktober 2007 ein Mob türkischer Faschisten mit Steinen, Flaschen und Messern Hetzjagd auf Kurden und belagerte eine kurdische Moschee. Auch in anderen deutschen Städten kam es an diesem Tag im Anschluß an Kundgebungen türkischer Nationalisten zu pogromähnlichen Szenen.

Die meist jugendlichen Angreifer zeigten den Gruß der »Bozkurtçular« (»Grauen Wölfe«). Dazu werden der Zeigefinger und der kleine Finger abgespreizt und Ringfinger, Mittelfinger und Daumen zusammengelegt, so daß die Hand einem Wolfskopf ähnelt. Der Wolf ist das Symbol der türkischen Faschisten, die sich selbst auch als Ülkücüler – Idealisten – bezeichnen. Der Legende nach wurden die Turkstämme im 8.Jahrhundert nach der Niederlage gegen die Chinesen von einem Wolf in das Gebiet der heutigen Türkei geführt.

Gründer der Ülküc-Bewegung war der 1917 auf Zypern geborene Oberst der türkischen Armee Alparslan Türkes. Bis zu seinem Tod 1997 stand Türkes der »Partei der Nationalen Bewegung« MHP als »Basbug« (Führer) vor, die heute unter seinem Nachfolger Devlet Bazceli mit 14,29 Prozent der Wählerstimmen im türkischen Parlament vertreten ist. Nach dem Vorbild von SS und SA schuf Türkes in den 60er Jahren paramilitärische Kommandoeinheiten. In ihren Trainingslagern bildete die Partei bis zu 100000 Kämpfer aus. Ab 1968 begannen die Grauen Wölfe mit Terroraktionen gegen eine erstarkende türkische Linke. Schätzungen zufolge ermordeten sie in der Türkei bis zum Militärputsch 1980 mehr als 3000 Menschen, vor allem Linke, Kurden und Aleviten. Aus den Grauen Wölfen rekrutierten sich in den 90er Jahren Todesschwadrone gegen kurdische Politiker und Intellektuelle. Auch heute sind Terrorkommandos aus dem Umfeld der Grauen Wölfe aktiv. So übernahmen »Türkische Rachebrigaden« die Verantwortung für einen Bombenanschlag in Diyarbakir, der 2006 zehn Menschen das Leben kostete. Anfang 2007 erschoß ein Jugendlicher aus dem Umfeld der Grauen Wölfe den armenischen Journalisten Hrant Dink in Istanbul.

Die Grauen Wölfe streben die Vereinigung aller Turkvölker vom östlichen Mittelmeer bis zum chinesischen Xingjang in einem Turan genannten Großreich an. Dabei vertreten sie einen aggressiven Nationalismus, der sich vor allem gegen die nicht türkisch-suinnitische Bevölkerung der Türkei, also gegen Kurden, Aleviten, Armenier und andere Christen sowie – echte oder vermeintliche – Juden richtet. Seit den 70er Jahren gewann der Islam Einfluß bei den vorher heidnisch orientierten Grauen Wölfen, die heute von einer türkisch-islamischen Synthese als Basis des Türkentums sprechen.

In Deutschland sind Graue Wölfe seit Ende der 60er Jahre mit verschiedensten Kultur-, Sport- und sogenannten Idealistenvereinen aktiv. Dabei konnten sie bald auf die Hilfe von Unionspolitikern und des Bundesnachrichtendienstes zählen. Als im Juni 1978 die »Föderation der Türkisch-Demokratischen Ülküc-Vereine in Europa« (kurz: Türkische Födera­tion ADÜTDF) als Auslandsabteilung der MHP in Frankfurt am Main gegründet wurde, mietete der Schwalbacher CDU-Stadtverordnete und Türkei-Experte des BND Hans-Eckhardt Kannapin die Halle an. Nach Informationen des deutsch-türkischen Online-Magazins Kozmopolit

soll Kannapin dem Vorsitzenden der Türkischen Föderation und Verbindungsmann zum türkischen Geheimdienst MIT Lokman Kundak sowie dessen Nachfolger Musa Serdar Çelebi durch eine angebliche Beschäftigung als »wissenschaftliche Mitarbeiter« in einem fiktiven »Türkei Institut« zu einer Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis in der Bundesrepublik verholfen haben. Musa Serdar Çelebi wurde später im Zusammenhang mit dem Attentat auf Papst Johannes Paul II. 1981 in Italien inhaftiert. Der Attentäter selbst, Mehmet Ali Agca, war ein bekennendes Mitglied der Grauen Wölfe, ein verurteilter Mörder auf der Flucht. 1979 hatte er den Chefredakteur der Zeitung Milliyet, Abdi Ipekçi, erschossen, der sich insbesondere für eine Aussöhnung von Türken und Griechen nach dem Zypernkonflikt eingesetzt hatte.

Neben der Türkischen Föderation mit rund 200 Vereinen existieren in Deutschland die von der ADÜTDF abgespaltene, stärker islamisch-nationalistisch orientierte Türkisch Islamische Union Europa ATIB mit rund 100 Vereinen und die mit der islamisch-faschistischen »Großen Einheitspartei« BBP der Türkei verbundene »Föderation der Weltanschauung in Europa« ANF mit rund 30 Vereinen. Etwa 10000 türkischstämmige Migranten sind deutschlandweit in Ülküc-Vereinen organisiert, allein in Nordrhein-Westfalen sollen es nach Schätzung des dortigen Verfassungsschutzes 2000 sein.

Daß die türkischen Faschisten seit den 90er Jahren verstärkt Zulauf von Jugendlichen erhalten, hat auch mit dem Rassismus in der deutschen Gesellschaft zu tun. »Es hat sich ebenso gezeigt, daß Chancenungleichheit und Diskriminierungserfahrungen von Migrantenjugendlichen häufiger dazu führen, daß sie sich mehr denn je aus der Mehrheitsgesellschaft und von ihren Werten abgrenzen, zurückziehen und ihre ›eigene Welt in ›ihrer ethnischen Parallelgesellschaft suchen. Öffentlich-politische sowie mediale Diskurse und Debatten wie z.B. über das pauschalisierte Gewaltbild von jungen Migranten, das Zuwanderungsgesetz, die Leitkultur, die Kopftuchdebatte, das Feindbild ›Islam, der Bau der Ehrenfelder Großmoschee u.. schaffen die Basis für eine gesellschaftliche Polarisierung und den Rückzug in die ›ethnischen Nischen bzw. in die ethnisch dominierte Parallelgesellschaft«, schreiben die Sozialwissenschaftler Kemal Bozay und Emre Aslan in einer Broschüre der Gewerkschaft GEW Köln über die Grauen Wölfe.

In einer Schrift der Türkischen Föderation heißt es kryptisch: »Die Türkische Föderation hat für unsere in Europa lebenden Menschen, die bisher als Fremde und manchmal als Deutschländer gerufen wurden, die richtige Bezeichnung des Europäischen Türkentums betont und dieses anerkennen lassen.« Gemeint ist damit die Anerkennung dauerhafter türkischer Existenz in Europa bei gleichzeitiger Bindung der Migranten an nationale Werte, Tugenden und Institutionen der Türkei. So fordern die türkisch-nationalistischen Gruppierungen ihre Mitglieder dazu auf, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben, um dann als türkische Lobby besser Einfluß auf die deutsche Politik nehmen zu können. In diesem Sinne hatte Türkes auf der Jahreshauptversammlung der Türkischen Föderation 1995 seine Anhänger zur aktiven Mitarbeit in CDU und CSU aufgerufen. In der Folge gelangten Graue Wölfe in örtliche oder regionale Vorstände der Unionsparteien oder als Abgeordnete in Kommunalparlamente. Vereinzelt kamen sie als »Wölfe im Schafspelz« auch bei der SPD und selbst den Grünen unter. Graue Wölfe sind zudem in zahlreichen Ausländerbeiräten vertreten.

Die langjährigen engen Beziehungen zwischen Grauen Wölfen und der deutschen NPD endeten nach den neofaschistischen Brandanschlägen auf türkischstämmige Bürger Anfang der 90er Jahre. Statt dessen nutzen die Grauen Wölfe ihre Kontakte zu den Unionsparteien. So nahm im November 2003 der damalige bayerische Innenminister und jetzige Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) am Ramadan-Essen der zur Türkischen Föderation gehörenden »türkischen Gemeinschaft« Nürnberg teil und ließ sich anschließend mit seinen Gastgebern vor einem Bild des Hitler-Verehrers Alparslan Türkes fotografieren. Damit stand er in der Tradition seines ehemaligen Landesvaters Franz Josef Strauß, der sich bereits 1978 mit Türkes getroffen und diesem tatkräftige Unterstützung zugesichert hatte.