Junge Welt 22.06.2002
Hitlers Schutzpatron
Ausstellung in München zu Kardinal Michael von Faulhaber.
Zum 50. Todestag haben das Erzbischöfliche Archiv sowie das
Staats- und das Stadtarchiv Faulhabers Nachlaß für die Wissenschaft geöffnet
Kardinal Michael von Faulhaber stand 35 Jahre lang - vom Kaiserreich bis zur
Bundesrepublik - an der Spitze des Erzbistums München und Freising. Zu seinem
80. Geburtstag im Jahr 1949 verlieh ihm der Münchner Oberbürgermeister Kurt
Scharnagl (CSU) auf einer Stadtratssitzung die Ehrenbürgerwürde, weil »seine
Person und sein Name geradezu zu einem Begriff für schärfste Bekämpfung der
nationalsozialistischen Irrlehre und Grundsätze geworden« seien. Demonstrativ
verließen damals die Stadträte von KPD, SPD und FDP den Sitzungssaal, da ihnen
Faulhaber als überzeugter Antidemokrat und Reaktionär galt. Gestorben ist der
Kardinal während einer Fronleichnamsprozession am 12. Juni 1952.
Anläßlich des 50.Todestages von Faulhaber hat der Erzbischof von München und
Freising, Kardinal Friedrich Wetter, den Nachlaß seines Amtsvorgängers mit
10000 Einzelakten ordnen und für die Wissenschaft freigeben lassen. Diese
Entscheidung fügt sich in die Ankündigung des Vatikans ein, ab kommendem Jahr
die Deutschlandarchive im päpstlichen Geheimarchiv für die Zeit von 1922 bis
1939 vorzeitig der Wissenschaft zugänglich zu machen. Dieser für die Kirche
ungewohnten Offenheit gingen eine vehemente öffentliche Kritik an der
vielfachen Kollaboration der katholischen Kirche mit dem Faschismus voraus
sowie das Schuldbekenntnis von Papst Johannes Paul II. zum kirchlichen
Antijudaismus.
Waffenpaß und Waffensegen
Als »polemisch«, »unwissenschaftlich«, voller »beleidigender Formulierungen«
und »absurder Unterstellungen« hatte das Erzbischöfliche Ordinariat noch vor
zwei Jahren das Buch des Münchner Historikers Rudolf Reiser »Kardinal Michael
von Faulhaber - Des Kaisers und des Führers Schutzpatron« zurückgewiesen.
Gestützt auf Originalquellen hatte Reiser nachgewiesen, daß Faulhaber »ein Antidemokrat
und Parteigänger Kaiser Wilhelms II. und eine unerschütterliche Stütze Hitlers,
ein böser Kriegstreiber und autoritärer Kirchenfürst« war. Diese Kritik war
nicht ganz neu. Bereits 1962 hatte der bekannte Kirchenkritiker Karlheinz
Deschner in seinem Werk »Abermals krähte der Hahn« Kardinal Faulhaber ein
deftiges Kapitel gewidmet.
Eine erste Auswahl von Dokumenten aus dem Faulhaber-Archiv präsentiert das
Erzbischöfliche Archiv in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv
und dem Münchner Stadtarchiv jetzt in einer Ausstellung in München über das
Leben Kardinal Faulhabers. Sie erzählt eine deutsche Geschichte.
Michael von Faulhaber wurde 1869 in einer Bäckerfamilie geboren und studierte
Theologie. 1903 hat ihn Kaiser Wilhelm II. zum Professor für Alttestamentliche
Exegese berufen und sich damit Faulhabers lebenslange Treue erkauft. 1911 wurde
Faulhaber Bischof im damals königlich-bayerischen Speyer. »Das Evangelium hat
für den Krieg nicht nur einen Waffenpaß, es hat für ihn sogar einen Waffensegen«,
begrüßte der Bischof den Ersten Weltkrieg. Während er alle leiblichen Freuden
der Etappe genoß, philosophierte er: »Der Aufmarsch ohne Alkohol, die Rückkehr
zum einfacheren Küchenzettel, die Wiedergeburt der altgermanischen Abhärtung,
die ins Riesenhafte gesteigerten Strapazen im Felde werden zum mindesten in der
Lebensführung des jetzt lebenden Geschlechtes heilsam nachwirken.«
Ausgerechnet im tiefkatholischen Bayern, wo Faulhaber ab 1917 zum Erzbischof
von München und Freising berufen worden war, stürzten revolutionäre Arbeiter,
Bauern und Soldaten unter Führung des Sozialisten Kurt Eisner am 7. November
1917 den ersten deutschen Königsthron. Für Faulhaber war die
Revolutionsregierung eine »Regierung von Jehovas Zorn«. Er titulierte den bayerischen
Ministerpräsidenten niemals anders als den »Juden Eisner«. Als Eisner im
Februar 1919 von einem rechtsextremen Offizier ermordet wurde, mußten
bewaffnete bayerische Rotarmisten den Bischof dazu zwingen, zur Staatstrauer
die Kirchenglocken des Doms zu läuten. Ausgerechnet die Straße, in der Eisner
dem Attentat zum Opfer fiel, wurde unmittelbar nach Faulhabers Tod auf
Stadtratsbeschluß in Kardinal-Faulhaber-Straße umbenannt.
Der Kardinal hoffte nach dem Ende der Räterepublik weiter auf die Wiederkehr der
Monarchie und hetzte gegen die neuen »Könige von Volkes statt von Gottes
Gnaden«. Der bayerische Ministerpräsident Gustav von Kahr konnte - im Interesse
des eigenen Machterhalts - gerade noch verhindern, daß der mittlerweile zum
Kardinal ernannte Faulhaber beim Trauergottesdienst für den verstorbenen König
Ludwig III. am 5. November 1921 dessen Sohn Rupprecht zum neuen König ausrief.
Zum öffentlichen Eklat kam es, als sich Faulhaber während des Münchner
Katholikentages im August 1922 öffentlich von der Weimarer Republik
distanzierte und erklärte: »Die Revolution war Meineid und Hochverrat und
bleibt in der Geschichte erheblich belastet und mit dem Kainsmal gezeichnet.«
Für diese Worte mußte sich Faulhaber die harsche Kritik des Präsidenten des
Katholikentages, des Kölner Oberbürgermeisters Konrad Adenauer, anhören, der im
Verhalten Faulhabers eine Gefahr für den politischen Einfluß des deutschen
Katholizismus sah. Daß der Separatist Adenauer, der 1923 versuchen sollte, das
Rheinland vom Reich abzutrennen, Faulhaber zugleich als Gefahr für die Einheit
des Reiches bezeichnete, ist eine Ironie der Geschichte. Mit der Begründung,
daß Friedrich Ebert Mitglied und Führer einer grundsätzlich
religionsfeindlichen Partei sei und nicht vom deutschen Volk zum Staatsoberhaupt
gewählt worden wäre, verweigerte Faulhaber 1925 auch dem toten
Reichspräsidenten das kirchliche Trauergeläut.
Ein gänzlich anderes Verhältnis hatte Faulhaber zum Hitlerregime, das er trotz
seiner Kritik an der unchristlichen Naziideologie als »gottgesetzte Autorität,
rechtmäßige Obrigkeit, der wir im Gewissen Ehrfurcht und Gehorsam schulden«,
anerkannte. So, wie er früher für das Wohl des bayerischen Königs und des
deutschen Kaisers gebetet hatte, schloß der Kardinal am 7. Juni 1936 seine Predigt
im Münchner Frauendom mit den Worten: »Katholische Männer, wir beten jetzt
zusammen ein Vaterunser für das Leben des Führers.« Nach dem mißlungenen
Attentat des Antifaschisten Georg Elser im Bürgerbräukeller am 8. November 1939
beglückwünschte der Kardinal Hitler umgehend in einem Telegramm. Als
»Höflichkeitsfloskeln« und »Selbstverständlichkeit« bezeichnet der Historiker
Walter Ziegler vom Institut für Bayerische Geschichte an der Universität
München im Katalog zur Ausstellung derartige Äußerungen Faulhabers.
Kein Nazi, aber ein Antisemit
Am 4. November 1936 kam es auf dem Obersalzberg zu einer dreistündigen
Unterredung zwischen Hitler und Faulhaber. Hauptthema war die »außenpolitische
Gefahr des Bolschewismus«. Für Hitler war die Aussprache ein Versuch, die
ungeliebte katholische Kirche unter Berufung auf die angebliche
bolschewistische Gefahr zum Verbündeten zu gewinnen. Faulhaber wiederum hoffte
durch die Zusicherung, einen Hirtenbrief gegen den Bolschewismus zu erlassen,
das Regime zur Einhaltung des Konkordats zwischen Bayern und dem Vatikan zu
bewegen. Da der Hirtenbrief neben einer Verurteilung des Kommunismus auch seine
Sorge über die Bedrängung der Kirche durch den nazistischen Staat enthielt,
ging weder Hitlers noch Faulhabers Strategie völlig auf.
Tatsächlich wäre es falsch, in Faulhaber einen überzeugten Nazi zu sehen.
Vielmehr zielte dieser auf eine Synthese von völkisch-nationalistischem
Gedankengut und Katholizismus. An der Ideologie des deutschen Faschismus
bekämpfte er nicht den Rassekult, aber er wandte sich gegen die Versuche, das
Christentum durch den mystisch-okkulten Germanenglauben zu ersetzen. »Wenn es
eine Sünde wider das Blut gibt«, predigte Faulhaber zu Silvester 1936 ganz im
völkischen Jargon, »gibt es auch eine Sünde wider die Geschichte eines Volkes.
Abfall vom Christentum wäre eine Sünde wider die Geschichte des deutschen
Volkes.« Wenn Deutschland leben wolle, müsse »der sittliche Aufstieg mit dem
völkischen Aufstieg Schritt halten«; das Kreuz sei das Symbol dieser sittlichen
Kraft.
Dokumente belegen, daß Faulhaber als herausragender Exponent des Katholizismus
trotz seiner Anbiederung an Hitler bei den Faschisten ausgesprochen unbeliebt
war. 1934 wurden von Unbekannten sogar Schüsse auf das Erzbischöfliche Palais
abgegeben, und im Anschluß an die Reichspogromnacht 1938 versuchte eine
aufgebrachte Menge, das Palais zu stürmen. Den Faschisten war es ein Dorn im
Auge, daß Faulhaber immer dann energisch auf seine durch das Konkordat
verbuchten Rechte pochte, wenn katholische Partikularinteressen bedroht wurden.
Dies war beispielsweise der Fall, als die konfessionelle Erziehung durch die
Gemeinschaftsschulen in Bedrängnis geriet und als die Kruzifixe in den
Schulzimmern abgehängt wurden. Faulhaber war auch federführend an der Verfassung
der päpstlichen Enzyklika »Mit brennender Sorge« beteiligt, die 1937 die
nationalsozialistische Weltanschauung als unchristlich verurteilte. Immerhin
erhob er aus christlichen Erwägungen heraus auch seine Stimme gegen die
»Euthanasie«programme der Nazis.
Faulhaber sei ein erklärter Gegner des Antisemitismus gewesen, wird im Katalog
zur Ausstellung behauptet. Zum Beleg für eine angebliche Widerstandstätigkeit
des Bischofs hat die katholische Kirche immer wieder die 1933 in der Münchner
Michaelskirche gehaltenen Adventspredigten »Judentum - Christentum -
Germanentum« angeführt. Tatsächlich lobte Faulhaber die Sittlichkeit des
»altbiblischen Volkes« Israel und betonte: »Wir sind nicht mit deutschem Blut
erlöst«. Faulhabers Verteidigung des Judentums bezog sich allerdings nicht auf
die Gegenwart. »Trotz aller Fügung der Gnade hat Israel die Stunde seiner
Heimsuchung nicht erkannt« und sei daher »aus dem Dienst der Offenbarung
entlassen«, wies er in antisemitischer Manier den Juden die Schuld an ihrer Verfolgung
zu, denn »sie hatten den Gesalbten des Herren verleugnet und verworfen, zur
Stadt hinausgeführt und ans Kreuz geschlagen«. Das Autorenhonorar von 700 Mark
für die gedruckte Ausgabe der Adventspredigten spendete Faulhaber dem
Winterhilfswerk der Nazis.
Kollaboration verharmlost
Kritik an der Verfolgung und späteren Ermordung deutscher und europäischer
Juden war vom Episkopat zu keinem Zeitpunkt zu vernehmen. Zwar sei das Vorgehen
gegen die Juden unchristlich, für die kirchlichen Oberbehörden bestünden
weitaus wichtigere Gegenwartsfragen als das Weiterbestehen der konfessionellen
Schulen und der katholischen Vereine. Zudem dürfe man der Regierung keinen
Grund geben, »um die Judenhetze in eine Jesuitenhetze umzubiegen«, wies
Faulhaber im April 1933 das Anliegen des bayerischen Priesters Alois Wurm
zurück, sich in eindeutiger Weise vom Rassenhaß des Hitlerregimes zu
distanzieren. Der Einsatz katholischer Priester für »Nichtarier im allgemeinen«
sei wirkungslos, begründete Faulhaber im Angesicht massiver Deportationen von
Münchner Juden in Konzentrations- und Vernichtungslager das Schweigen der
deutschen Bischöfe. Lediglich für zum Katholizismus konvertierte Juden erbat er
bei der Regierung Ausreisegenehmigungen. Als Faulhaber endlich am 12. September
1943 in einem Hirtenbrief unter Berufung auf die zehn christlichen Gebote die
»Tötung (...) an Menschen fremder Rassen und Abstammungen« verurteilte, blieb
dies wirkungslos. »Es ist falsch, einem extremen und erbarmungslosen
Antisemitismus zu verfallen«, predigte der nunmehr als Widerstandskämpfer
geadelte Faulhaber nach 1945.
Es sei deutlich geworden, schreibt der Historiker Walter Ziegler im
Ausstellungskatalog, »daß (...) hier nicht mit Maßstäben der Gegenwart
geurteilt werden darf, (...) sondern mit denen der damaligen Zeit. Diese
konnten etwa bei der nach außen legalen Machtübernahme 1933 noch nichts von den
zukünftigen Verbrechen oder dem geplanten Angriffskrieg wissen. Die gern
aufgestellte Behauptung, durch die Analyse von Hitlers "Mein Kampf"
habe jeder die Entwicklung voraussehen können, bleibt ebenso theoretisch wie
die Feststellung, die Machtergreifung sei juristisch illegal gewesen und jede
Anerkennung der Regierung Hitler von Anfang an für jeden Gutwilligen undenkbar:
Keine Institution und auch keine demokratische Gruppe im In- und Ausland hat so
gedacht oder gehandelt. Auch Faulhaber darf nur auf dem Hintergrund seiner Zeit
beurteilt werden.«
Dieser erneute Versuch, die Kollaboration der Kirche mit dem Faschismus aus der
»damaligen Zeit« heraus zu entschuldigen, ist eine glatte Geschichtslüge.
Millionen Arbeiter, die noch im März 1933 der KPD ihre Stimme gaben, taten
dies, weil sie wußten: Wer Hitler wählt, wählt den Krieg. Während Kommunisten,
aber auch Intellektuelle wie Carl von Ossietzky und Zeitschriften wie die
Weltbühne, die für Ziegler offensichtlich nicht zu den »demokratischen Gruppen«
zählen, schon lange vor 1933 in deutlichen Worten vor dem Faschismus warnten,
hatte Kardinal Faulhaber 1925 in seiner Schrift »Deutsches Ehrgefühl und
katholisches Gewissen« erklärt: »Adolf Hitler wußte besser als die Diadochen
seiner Bewegung, daß die deutsche Geschichte nicht erst 1870 und nicht erst
1517 begann, daß für die Wiederaufrichtung des deutschen Volkes die
Kraftquellen der christlichen Kultur unentbehrlich sind (...) Als Mann des
Volkes kannte er auch die Seele des süddeutschen Volkes besser als andere und
wußte, daß mit einer Bewegung, die in ihrer Kehrseite Kampf gegen Rom ist, die
Seele des Volkes nicht erobert wird.«
Die Münchner Stadtratsfraktion der Grünen hatte nach Erscheinen des
Reiser-Buches im Jahr 2000 den Antrag gestellt, Faulhaber die Ehrenbürgerwürde
abzuerkennen und die Kardinal-Faulhaber-Straße umzubenennen. Damals hatte der
sozialdemokratische Oberbürgermeister Christian Ude den Antrag mit der
Begründung zurückgewiesen, Faulhabers Zitate seien zwar etwas »befremdlich«,
aber ihm könne »keine nationalsozialistische Gefolgschaft« zur Last gelegt
werden. Es bleibt zu hoffen, daß nach Öffnung der Kardinal-Faulhaber-Archive die
Diskussion über »Hitlers Schutzpatron« wieder auflebt und zu besserer Einsicht
führt.
* Die Ausstellung »Kardinal Michael von Faulhaber 1869 bis 1952« ist noch bis
zum 28. Juli 2002 im Stadtarchiv München in der Ludwigstr. 14 zu sehen.
Geöffnet ist täglich von 10 bis 18 Uhr. Der umfangreiche Katalog, 636 Seiten,
kostet 18 Euro. ISBN 0932B504
Nick Brauns