Junge Welt 21.02.2004
Vor
85 Jahren beendete ein Attentat die »hundert Tage der Regierung Eisner« und
löste eine zweite Revolution in Bayern aus
Am Morgen des 21. Februar 1919 verließ der bayerische
Ministerpräsident Kurt Eisner in Begleitung seines Sekretärs Felix Fechenbach
und eines Mitarbeiters des Außenministeriums seine Dienstwohnung im Münchner
Palais Montgelas. Zwei Leibwächter begleiteten ihn. In seiner Tasche trug
Eisner das Manuskript für seine Rücktrittserklärung, die er im Landtag verlesen
wollte. Der junge Offizier Anton Graf Arco auf Valley, ein antisemitischer
Eiferer aus dem Umfeld der völkischen Thulegesellschaft, hatte gegenüber dem
Palais gewartet. Blitzschnell stürzte er sich auf Eisner. Von zwei
Genickschüssen tödlich getroffen sank Eisner zu Boden. Damit endeten »die
hundert Tage der Regierung Eisners«, die »mehr Ideen, mehr Freuden der
Vernunft, mehr Belebung der Geister gebracht als die fünfzig Jahre vorher«, wie
Heinrich Mann schrieb.
Kurt Eisner wurde 1867 als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Berlin
geboren. In seiner ersten Buchveröffentlichung setzte er sich 1892 mit dem
rassistischen Menschenbild Friedrich Nietzsches auseinander. In diese Zeit fiel
sein Bekenntnis zur Sozialdemokratie. Sein Sozialismus speiste sich mehr aus
der Ethik des Philosophen Immanuel Kant als aus marxistischen Ansichten. 1897
wurde Eisner wegen Majestätsbeleidigung zu neun Monaten Gefängnis verurteilt.
Nach seiner Entlassung übertrug ihm Wilhelm Liebknecht die Redaktion des
Vorwärts.
Im Richtungsstreit der Sozialdemokratie stand Eisner zwischen den Fronten. Mit
den Revisionisten befürwortete er eine reformistische Tagespolitik, mit den
Marxisten sah er den Sozialismus als notwendiges Endziel an. Von 1907 bis 1910
arbeitete er als Chefredakteur der sozialdemokratischen Fränkischen Tagespost,
anschließend lebte er als Schriftsteller in München. Ein intensives Studium der
Kriegsursachen und -ziele ließ ihn zu der Überzeugung gelangen, daß einzig der
deutsche Militarismus die Verantwortung für den Ausbruch des Weltkrieges trage.
Auf philosophischen Diskussionsabenden sammelte Eisner, der zu den
Mitbegründern der Münchner USPD gehörte, andere Kriegsgegner um sich.
Am 7. November 1918 sprach Eisner auf der Friedenskundgebung vor 80 000
Arbeitern, Soldaten und Bauern auf der Münchner Theresienwiese. Am Vorabend
hatte der Führer der Mehrheitssozialdemokratie Erhard Auer den königlichen
Ministern versichert, er werde »den Eisner schon an die Wand drücken«. Doch die
kriegsmüde Bevölkerung folgte Eisner, der zum Sturz des bayerischen Königs
aufrief. Eine Kaserne nach der anderen lief zu den Revolutionären über, Ludwig
III. mußte fliehen. Auf einer Versammlung der Arbeiter-, Soldaten- und
Bauernräte rief Eisner in der Nacht zum 8. November den »Freistaat Bayern« aus.
Eine Koalitionsregierung mit Eisner als Ministerpräsident und seinem Gegner
Auer als Innenminister wurde gebildet.
Eisners Regierungsprogramm war gemäßigt. Eine Sozialisierung der Fabriken wies
er als verfrüht zurück. »Die sozialistische Gesellschaft kann nicht Bayern
allein einführen, nicht Deutschland, das kann nur weltwirtschaftlich
international geschehen.« Ein reines Rätesystem nach russischem Vorbild lehnte
Eisner ab. »Die Räte sind die Grundmauer der Demokratie, die
Nationalversammlung, der Landtag ist die Krönung des Gebäudes.« Als notwendige
Ergänzung zu den Parlamenten sollten die Räte »die Schulen der Demokratie
werden, daraus dann sollen die Persönlichkeiten emporsteigen zu politischer und
wirtschaftlicher Arbeit.«
Als »Preuße«, Jude und Sozialist war Eisner dem Haß des bayerischen Bürgertums
ausgesetzt. Die wilde Pressehetze, die von der Thulegesellschaft bis zur SPD
betrieben wurde, steigerte sich noch, als Eisner Dokumente aus diplomatischen
Archiven veröffentlichte, um die Kriegsschuld Deutschlands zu beweisen. Mit
diesem Schritt hoffte er auf einen Verständigungsfrieden mit den alliierten
Kriegssiegern, doch in den Augen seiner Gegner lieferte er diesen nur die
Munition zur Knechtung Deutschlands. Als Folge der Pressehetze erlitt die USPD
bei der Landtagswahl eine vernichtende Niederlage. Während die konservative
Bayerische Volkspartei auf 35 und die SPD auf 33 Prozent kam, erhielt die
Partei des Ministerpräsidenten unter drei Prozent der Stimmen.
Die Wahlniederlage und die blutige Gegenrevolution in Berlin ließen Eisner
näher an den von ihm bisher bekämpften Revolutionären Arbeiterrat rücken. Auf
einer von Anarchisten und Kommunisten dominierten Demonstration »der revolutionären
Wachsamkeit« fuhr der noch amtierende Ministerpräsident im offenen Wagen unter
Parolen wie »Hoch die Räterepublik! Hoch die Bolschewiki!« mit.
In seiner letzten Rede am 20. Februar rief Eisner zur Fortführung der
Revolution auf. »Die zweite Revolution wird kein Plündern und kein Straßenkampf
sein, die neue Revolution ist die Sammlung der Massen in Stadt und Land, die
ausführt, was die erste Revolution begonnen hat.« Es gehört zur geschichtlichen
Tragik, daß Eisners Ermordung am folgenden Tag zum Auslöser dieser zweiten
Revolution werden sollte.
»Die Glocken von allen Türmen fingen zu läuten an, die Trambahnen hörten mit
einem Mal zu fahren auf, da und dort stieß jemand eine rote Fahne mit
Trauerflor zum Fenster heraus, und eine schwere, ungewisse Stille brach an«,
erinnerte sich Oskar Maria Graf an den Vormittag des 21. Februar 1919. Auf dem
Promenadenplatz »hatten sich Hunderte schweigend um die mit Sägespänen
bedeckten Blutspuren Eisners zu einem Kreis gestaut. Fast niemand sagte ein
lautes Wort. Frauen weinten leis und auch Männer. Etliche Soldaten traten in
die Mitte und errichteten eine Gewehrpyramide. Dem einen rannen dicke Tränen
über die braunen Backen herunter. (...) Plötzlich fuhr vorne am Promenadenplatz
ein vollbesetztes Lastauto mit dichten Fahnen und Maschinengewehren vorüber,
und laut schrie es herunter: ›Rache für Eisner!‹«
Diese Rache erfolgte umgehend. Innenminister Auer hatte gerade einen Nachruf
auf Eisner gehalten, als ein Mann mit einem Browning-Gewehr in den Plenarsaal
des Landtages drängte. Auer brach von drei Schüssen getroffen schwer verletzt
zusammen, der Abgeordnete Osel und Major Jareis wurden tödlich getroffen. Der
Schütze war Alois Lindner, ein gelernter Metzger, der als Matrose die Welt
bereist und als Cowboy in den USA gearbeitet hatte. »Ein ganz unkomplizierter,
aber durchaus zuverlässiger, dem Kommunismus wahrhaft ergebener Proletarier und
ein sehr leicht erregbarer Mensch«, charakterisierte ihn Erich Mühsam. »Sein
Eindringen in die Sitzung der Landtagsabgeordneten, die eben scheinheilig die
Mordtat an Eisner verurteilten, und die Schüsse, die er auf Auer abgab, waren
einfach die Reflexbewegung der Revolution auf die vorbedachte Gewalt der
Konterrevolution.« Die Meinung, daß Auer die politische Verantwortung für den Eisner-Mord
trüge, war in München weit verbreitet. Sein Haß auf Eisner war ebenso bekannt
wie seine Sympathie für Arco, mit dem er das Weihnachtsfest gefeiert hatte.
Die Landtagsabgeordneten waren nach den Schüssen Lindners in Panik
auseinandergerannt. Die Macht lag nun bei einem von den Arbeiterparteien
gebildeten Zentralrat der Bayerischen Republik, der den Belagerungszustand über
München verhängte und Geiseln aus dem Adel verhaften ließ. Ein dreitägiger
Generalstreik wurde ausgerufen, Waffen an die Arbeiterschaft verteilt und
Redaktionen der bürgerlichen Zeitungen besetzt.
Arco wurde am 16. Januar 1920 von einem bayerischen Gericht zum Tode
verurteilt, das Urteil aber schon am nächsten Tag vom Ministerrat in
Festungshaft umgewandelt. Während beim Prozeß gegen Arco dessen patriotische
Tatmotive gewürdigt wurden, attestierte das Gericht bei Lindner eine »niedrige
Gesinnung« und verurteilte ihn zu 14 Jahren Zuchthaus und Aberkennung der
bürgerlichen Ehrenrechte. Schon 1924 wurde Arco begnadigt.
Nick Brauns