Der organisierte rote Schrecken

Volker Ullrichs Biographie des Revolutionärs Karl Plättner

 

Von Nick Brauns

 

Während der anarchistische Verleger Bernd Kramer im "Neuen Deutschland" noch zu Spenden für die Veröffentlichung eines neuen Buches über Max Hoelz aufruft, ist im Beck Verlag überraschend die Biographie eines anderen berüchtigten Sozialrebellen der 20er Jahre erschienen. Volker Ullrich, Leiter des Ressorts Politisches Buch bei der ZEIT, hat sich des "ruhelosen Rebells" Karl Plättner angenommen und das einfühlsame Bild eines der kompromisslosesten Revolutionäre der deutschen Geschichte gezeichnet.

Während der legendäre mitteldeutsche Kommunistenführer Max Hoelz in der DDR in die Geschichtsbücher Eingang fand und 1988 sogar ein Denkmal gesetzt bekam, wurde Plättner dort als "klassenfremdes anarchistisches Element" totgeschwiegen. Auch in der BRD erinnerte nichts an ihn, obwohl gerade in den Aktionen der Roten Armee Fraktion in ihren Anfängen durchaus Ähnlichkeiten zur politischen Konzeption Plättners zu finden waren.

Der Lebensweg des 1893 in ärmlichen Verhältnissen geborenen Plättner verlief bis in den Weltkrieg hinein exemplarisch für viele Arbeiterrevolutionäre. Noch während seiner Lehrzeit im Harz als Former tritt er in den radikalen Deutschen Metallarbeiterverband ein. Als 19. Jähriger geht er nach Hamburg. Dort wird er in den Landesvorstand der SPD gewählt und leitet eine Abteilung des Jugendbundes. Als Gegner der Burgfriedenspolitik der SPD-Führung organisiert Plättner die ersten Antikriegdemonstrationen der Arbeiterjugend. Er schließt sich den Internationalen Kommunisten Deutschlands IKD an an, die im Gegensatz zur Spartakusgruppe nicht in die Unabhängige Sozialdemokratie eintreten. Für die IKD nimmt Plättner an der Gründungskonferenz der KPD Ende 1918 teil. Als Vorsitzender der KPD Nordwest spielt Plättner eine wichtige Rolle in der Bremer Räterepublik. Innerhalb der eigenen Partei isoliert er sich allerdings durch die Forderung, für jeden in Berlin ermordeten Spartakisten einen Bremer SPD-Führer zu erschießen.

Plättner vertritt die apokalyptische Vision eines "Endkampfes gegen den Kapitalismus": "Unser Kampf geht, wenn es nicht anders geht, über Berge von Leichen hinweg. Unter den Leichen liegt die Menschheit begraben. Sie muß befreit werden." Als sich die linksradikalen, putschistischen Teile der KPD abspalten und die Kommunistische Arbeiterpartei gründen, ist Plättner natürlich dabei. Während des mitteldeutschen Aufstandes der KPD und KAPD 1921, in dem Max Hoelz eine führende Rolle spielte, leitet Plättner eine Kampfgruppe der KAPD. Erstmals kommt es zu einer "Expropriation" durch die Plättner-Gruppe. Nachdem Plättner die Kasse einer chemischen Fabrik erbeutet hatte, hinterlässt er eine Quittung, die er mit "Hoelz" unterschrieben hat. Doch schon bald sollte er den Vogtländer Kommunistenführer an Radikalität übertreffen.

An der Übermacht der Polizeitruppen und der Isolation der Aufständischen scheitert der mitteldeutsche Kommunistenaufstand. Während die KPD ihre Politik einer radikalen Kritik unterzieht und die "Offensivtheorie" verwirft, radikalisieren sich Teile der KAPD weiter. Ein Oberster Aktionsrat, dem Plättner als Propagandaverantwortlicher angehört, sollte durch Expropriationen das nötige Geld für die Aufstellung proletarischer Kampfgruppen aufbringen.

Der Überfall auf die Chemische Fabrik in Buckau hatte Plättner zu einem eigenen politischen Konzept inspiriert, das er in seinem Manifest "Der organisierte rote Schrecken - Kommunistische Parade-Armeen oder organisierter Bandenkampf im Bürgerkrieg" darlegt. Als Druckort der Broschüre wird die "Hausdruckerei des Ministers für öffentliche Unsicherheit (Gustav Noske Nachfolger)" angegeben.

Im organisierten Bandenkampf sollten "terroristische Kampfmethoden" und "systematische Enteignungen" die bürgerliche Gesellschaft sturmreif schießen: "Habt ihr keine Waffen, so habt ihr doch Streichhölzer - jagt die Zwingburgen der Kapitalisten in die Luft, kauft euch Streichhölzer und steckt die Villen der Besitzenden in Brand, holt auch Dynamit und lasst keinen Stein auf dem anderen, denn diese Welt ist nicht mehr zu retten."

Um Plättner, der in der Presse als "mitteldeutscher Bandenführer" tituliert wird, sammelt sich eine Gruppe Arbeiter. Ähnlich, wie Plättner wurden sie in der Vorkriegssozialdemokratie geprägt und unter dem Eindruck von Krieg und Revolution radikalisiert. Raubend und plündernd zog die Plättnergruppe durch Mitteldeutschland. Die erbeuteten Gelder dienen vor allem dem Lebensunterhalt der Mitglieder der Bande und ihrer Familien. Ihre Opfer waren Unternehmer und Großbauern. Tatsächlich kam keiner der Beraubten bei den Expropriationen der Plättner-Bande körperlich zu schaden. In Flugblättern forderte die Gruppe die "hungernde Arbeiterschaft" auf, sich den "Formationen der kommunistischen Räuberbanden" anzuschließen.

Am 3. Februar 1922 gelang es der Polizei, Karl Plättner zu verhaften. Für die KPD sind Plättner und seine Freunde "verwirrte Brüder, die durch falsche Kampfesmethoden unsere Kampfkraft verwirren, die durch ihre Kampfesmethoden die revolutionäre Bewegung bloßstellen, aber doch unsere Brüder." Daher gewährt die Rote Hilfe mit ihren Rechtsanwalt Ernst Hegewisch der Plättner-Gruppe Rechtsbeistand. In einer 18 stündigen Verteidigungsrede legt Plättner noch mal sein Konzept des organisierten roten Schreckens da und bestreitet vehement, ein gewöhnlicher Räuber zu sein. Plättner wird zu 10 Jahren Haft verurteilt.

Im Gefängnis löst Plättner sich unter dem Einfluss marxistischer Literatur von seinen anarchistischen Vorstellungen und nach seiner Freilassung in Folge einer Amnestie im Jahr 1928 tritt er wieder der KPD bei.

Für Aufsehen sorgt Plättner noch einmal mit seinem Buch "Eros im Zuchthaus", das ausgehend von seiner eigenen Erfahrung die Sexualnot der Gefangenen beschreibt. Freizügig äußert sich Plättner auch über in der Arbeiterbewegung tabuisierte Themen wie Onanie und Homosexualität. Der bekannte Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld steuerte ein Vorwort zu dem Buch bei.

Nach 1933 tritt Plättner, der sich als Kritiker des Stalinismus zuvor schon aus der KPD zurückgezogen hat, nicht mehr politisch in Erscheinung. Als ehemals bekannter Kommunist wird er dennoch inhaftiert und stirbt durch das Martyrium der faschistischen KZs geschwächt nur wenige Tage nach der Befreiung durch die Alliierten.

 

 

Volker Ullrich: Der ruhelose Rebell - Karl Plättner 1893-1945

Beck Verlag 2000, 266 Seiten, DM 42,-