Kein
Widerstandsverlag
Kommission
präsentiert Zwischenergebnis zur Geschichte des Bertelsmann-Verlages unter dem
Faschismus
"Es gibt keine Belege, daß Bertelsmann im
3.Reich als Widerstandsverlag verfolgt wurde." Mit diesem Ergebnis trat
eine "Unabhängige Historische Kommission zur Erforschung der Geschichte
des Hauses Bertelsmann im Dritten Reich" (UHK) an die Öffentlichkeit. Die
Kommission unter Leitung des renommierten jüdischen Historikers Saul
Friedländer präsentierte am Montag in der Universität München die
Zwischenergebnisse ihrer Untersuchungen.
In der bisherigen Firmenlegende hatte sich
Bertelsmann gerne als Opfer des NS-Regimes präsentiert, das wegen
regimekritischer Literatur zensiert und schließlich verboten wurde. Diese
Darstellung verbreitete insbesondere der Bertelsmann-Haushistoriker Bavendamm,
der von den Mitgliedern der UHK als rechter Geschichtsrevisionist eingeschätzt
wird. Eine Aufgabe der Kommission sei schließlich, die Darstellung Bavendamms
zu korrigieren. Schon deswegen lehnt die UHK die Zusammenarbeit mit Bavendamm
ab, begündete Friedländer den Ausschluß des Haushistorikers von ihren
Untersuchungen.
Der Bochumer Historiker Norbert Frei ging auf die
Person des ehemaligen Bertelsmann Chefs Heinrich Mohn ein. Erwiesen ist, daß
Mohn, obwohl aktives Mitglied der NS-kritischen "Bekennenden Kirche",
auch Mitglied im Förderkreis der SS war. Zwischen 50 Pfennig und 50 Mark
monatlich spendeten die Fördermitglieder, die ansonsten keine Funktion in der
SS hatten. "Die FM-Organisation ist für den Bestand der Schutzstaffel von
größter Bedeutung und darf in ihrer Arbeit von keiner anderen Dienststelle
gestört werden", erklärt das NSDAP-Organisationshandbuch von 1943 hierzu.
Weiterhin leistete Mohn regelmäßige Spenden an NS-Jugendorganisationen, in
denen seine Kinder aktiv waren. "Wir haben noch kein Gesamtbild seiner
Person", so Frei.
Der Münchner Buchwissenschaftler Reinhard Wittmann
ging auf die Schließung des C.Bertelsmann Verlages durch das NS-Regime 1944 und
des ebenfalls zu Bertelsmann gehördenden religiösen Verlages "Der
Rufer" 1943 ein. Als Grund für die Schließung wird Papiermangel angegeben.
Bertelsmann galt als "nicht kriegswichtig". Wittmann bezweifelt diese
offizielle Begründung, da Bertelsmann der größte Produzent von
Wehrmachstsliteratur war. "Das Verfahren wegen ungenehmigter Papierkäufe
den Hintergrund für diese Maßnahme bilden, ist zu vermuten." In einem
Prozeß wegen Papierschieberei waren mehrere hochrangige Verlagsmitarbeiter
1943/44 angeklagt worden. Wenige Tage vor Kriegsende sprach sie das
Sondergericht Bielefeld allerdings frei. "Die UHK besitzt bisher keine
Anhaltspunkte dafür, daß die Schließung des Verlages C. Bertelsmann 1944 auf
Grund seiner konfessionellen Ausrichtung als theologischer Verlag oder wegen
einer Beziehung zur Bekennenden Kirche erfolgt ist. Dies gilt ungeachtet der
Tatsache, daß es für die Zeit ab 1933 Belege für Zensurmaßnahmen vor allem
gegen das religiöse-theologische Schrifttum des Verlages gibt", so
Wittmann. Diese Belege blieb die Kommission allerdings vorerst genauso
schuldig, wie die Angabe, wann und wo sie die bisher nicht aufgefundene
Verbotsverfügung entdeckt hat.
Der Münchner Theologe Trutz Rendtorff untersuchte
das theologische Programm der Verlage C.Bertelsmann und "Der Rufer".
Als durchgehende Linie machte er einen "Antimoderismus", verbunden
mit Antisemitismus und Antibolschewismus aus, der sich gegen Intellektualität,
Rationalismus und Liberalismus richtete. "Konservatives, autoritäres,
völkisches, antisemitisches, biologistsiches Denken ist in vielen Texten
präsent, ohne, daß sich explizite Anschlüsse an die Ideologie des
Nationalsozialismus ... immer entdecken lassen." Obwohl einige religiöse
Bücher am 1933 nicht gedruckt werden durften, sei Bertelsmann im Vergleich zu
anderen Verlagen "nicht besonders von Zensur betroffen" gewesen.
Entgegen anderslautender Darstellungen sei Bertelsmann auch kein Verlag der
"Bekennenden Kirche" gewesen.
"Die deutschen Verlage gehörten zu den größten
Kriegsgewinnlern", erklärte Professor Wittmann. Obwohl damals keineswegs
einer der größten deutschen Verlage, hätte Bertelsmann von insgesamt 75
Millionen sogenannten Wehrmachtsausgaben
ca.20,4 Millionen produziert. Der NSDAP-eigene Eher Verlag stand bei den
Wehrmachtsausgaben hinter Bertelsmann erst an zweiter Stelle. Während die
allgemeine Belletristik nicht weiter propagandistisch gewesen sei, hätte
Bertelsmann für die Wehrmachtsangehörigen und die Waffen-SS auch
Kriegsschilderungen gedruckt, die "offen antisemitisch und
kriegsverherrlichend" seien.
Ob Bertelsmann oder eine der 119 angeschlossenen
Druckereien auch Zwangsarbeiter beschäftigt habe, konnte noch nicht geklärt
werden. Lediglich vier fremdländische Arbeitskräfte hätte der Verlag damals
angegeben. Hier sieht die UHK noch großen Forschungsbedarf.
Erst nach Abschluß der Forschungen möchte die
Kommission das Hausarchiv von Bertelsmann auch für andere Wissenschaftler, wie
den Düsseldorfer Zeitgeschichtler Hersch Fischler öffnen. Dessen Forschungen
hatten Bertelsmann überhaupt erst zur Berufung der UHK veranlasst. Als in
solchen Fällen auch bei anderen Unternehmen durchaus übliche Praxis bezeichnete
Friedländer den Beschluß, vor Ende der Untersuchungen das Archiv nicht für
Fremde zu öffnen, um ungestört forschen zu können. "Fischler hat große
Verdienste. Durch ihn hat die Forschung über die Geschichte von Bertelsmann
erst angefangen", so Friedländer.
Für den Düsseldorfer Historiker ist dagegen bei der
UHK "Hopfen und Malz verloren". "Ich habe Bertelsmann nicht
NS-Propaganda vorgeworfen, sondern Heuchelei, was die eigene Geschichte
betrifft. Diese Heuchelei geht bei der UHK weiter", äußerst Fischler nach
Abschluß der Pressekonferenz gegenüber "junge Welt". Obwohl die UHK
viele seiner Forschungsergebnisse bestätigt habe, habe er keinerlei Erwartungen
mehr. Ende des Jahres hofft die UHK, ihren Abschlußbericht vorzulegen.
Nick Brauns, München 17.1.2000