Aufstandsbekämpfung

Vor 15 Jahren wurde die Arbeiterpartei Kurdistans PKK verboten

Nach der Bombardierung der kurdischen Stadt Lice durch die türkische Armee im Oktober 1993 griffen aufgebrachte Kurden in mehreren europäischen Ländern türkische Vertretungen, Cafés und Reisebüros an. Obwohl der Arbeiterpartei Kurdistans PKK keine Urheberschaft nachgewiesen werden konnte, dienten diese Proteste als Anlass für das am 26. November 1993 von Bundesinnenminister Manfred Kanther verfügte Betätigungsverbots der PKK, der Nationalen Befreiungsfront Kurdistans ERNK sowie von 29 örtlichen Vereinen. "Die politische Agitation der PKK und ihr nahestehender Organisation hat zwischenzeitlich ein außenpolitisch nicht mehr vertretbares Ausmaß erreicht", hieß es im Verbotsbescheid. Wie die türkische Tageszeitung Hürriyet am folgenden Tag bekanntgab, war das Verbot in enger Kooperation zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl und der türkischen Ministerpräsidentin Tansu Ciller vorbereitet worden.

Deutschland mit seiner großen kurdischen Diaspora kam im Rahmen eines von der NATO bereits Mitte der 80er Jahre gestarteten Aufstandsbekämpfungsprogramms gegen die PKK eine Schlüsselstellung zu. So wurde seit 1989 in Düsseldorf ein Schauprozess gegen rund 20 kurdische Politiker mit dem Ziel geführt, die ganze Befreiungsbewegung als terroristisch zu brandmarken.

Analog zum Ausbruch von Volksaufständen in Kurdistan 1990 verzeichnete die PKK erstmals Massenunterstützung unter der kurdischen Migration. Auf diese zielte das PKK-Verbot. Eine Vielzahl kurdischer Demonstrationen, Feste und selbst Fußballspiele und Hochzeiten wurden seitdem verboten, Hunderte Kulturvereine und Privatwohnungen gestürmt, Tausende Menschen verurteilt, weil sie die PKK hochleben ließen oder Bilder von PKK-Chef Abdullah Öcalan zeigten.

Als bundesweit die Feierlichkeiten zum Newroz-Fest am 21. März 1994 verboten und die anreisenden Busse gestoppt wurden, kam es zu Straßenschlachten, Autobahnblockaden und Selbstverbrennungen. Am 1. Juli 1994 erschoss ein Zivilpolizist in Hannover den 16-jährigen Halim Dener beim Kleben von ERNK-Plakaten. Die Medienhetze gegen "Terrorkurden" überschlug sich.Die Innenministerkonferenz beriet den Einsatz der Bundeswehr gegen kurdische Großdemonstrationen und die Boulevardpresse meldete, Öcalan habe die Ermordung von Außenminister Klaus Kinkel und Rennfahrer Michael Schumacher angeordnet. 1996 erklärte sich Abdullah Öcalan zum Gewaltverzicht in Deutschland bereit und die Situation entspannte sich etwas. Nach Öcalans Verschleppung in die Türkei kam es im Februar 1999 zur letzten militanten Protestwelle von Kurden mit Besetzungen von Botschaften und Parteibüros in Deutschland.

Im Jahr 2001 unterschrieben 40.000 Kurden in Deutschland die Erklärung. Auch ich bin PKKler, in der sie sich zu den Friedensvorschlägen des gefangenen Öcalan bekannten und die Aufhebung des PKK-Verbots forderten. Die Staatsanwaltschaft reagierte mit einer neuen Prozesswelle. Bis heute werden kurdische Politiker alljährlich wegen Mitgliedschaft in einer "kriminellen Vereinigung" nach Paragraph 129 StGB zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Nachdem im Herbst 2007 eine "Anti-PKK-Koordination" zwischen den USA, der Türkei, Frankreich, Großbritannien und Deutschland gebildet wurde, um die Infrastruktur der Befreiungsbewegung in Europa zu zerschlagen, verbot das Bundesinnenministerium im Juni 2008 den von vielen der 800.000 in Deutschland lebenden kurdischstämmigen Bürgern gern gesehenen Satellitensenders Roj TV.

Das PKK-Verbot muss nicht nur in diesem internationalen Kontext gesehen werden, sondern auch als Schrittmacher beim Abbau demokratischer Grundrechte in Deutschland. Die systematische Kriminalisierung der Kurden begann in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre als Reaktion auf das Wiederaufleben des kurdischen Freiheitskampfes in der Türkei unter dem Vorwand der "Terrorismus-Bekämpfung" als Bestandteil der NATO-Counter-Insurgency-(Aufstandsbekämpfungs-)Strategie. Sie wurde als Pilotprojekt für die Behandlung von Menschen-, Bürger und Freiheitsrechten nach dem Ende des Kalten Krieges forciert vorangetrieben, um das Modell des "Sicherheitsstaates" mit formal-demokratischen und pseudo-rechts-, in Wahrheit jedoch polizeistaatlichen Grundlagen und Methoden weiterzuentwickeln. Diese vor zehn Jahren von Eberhard Schultz, einem Verteidiger in mehreren Terrorismusverfahren gegen PKK-Kader, aufgestellten These kann angesichts der massiven Schritte zum Überwachungsstaat durch die Bundesregierung nur zugestimmt werden.

Nick Brauns

Erschien gekürzt unter dem Titel "Schützenhilfe gegen Kurden" in junge Welt 27.11.2008