junge Welt vom 27.08.2007

Globale Bedeutung

Mit Hisbollah und Hamas gegen das Empire – unersetzliches Grundlagenwerk über Imperialismus und Widerstand im Nahen und Mittleren Osten

Jürgen Elsässer

In den guten alten Zeiten der Bipolarität wußte jeder halbwegs Linke mit Abkürzungen wie PLO, ANC, MPLA oder FSLN etwas anzufangen. Klar, das waren die Befreiungsbewegungen in Palästina, Südafrika, Angola und Nicaragua. Ihre Auslandsvertreter reisten kreuz und quer durch Europa, gaben Pressekonferenzen oder traten bei linken Veranstaltungen auf. Für den bewaffneten Kampf wurde munter Geld gesammelt – selbst der SPD-Arabienexperte Hans-Jürgen Wischnewski (»Ben Wisch«) soll einst höchstpersönlich Bares im Köfferchen an die algerischen Rebellen von der FLN überbracht haben. Die kauften damit Waffen und schossen den französischen Kolonialherren samt ihren einheimischen Helfern die Köpfe weg. Heute würde man Gruppen wie die FLN ohne viel Federlesen Al Qaida zurechnen, und Ben Wisch würde in Guantánamo landen.

Die Gruppierungen, die heutzutage die Hauptlast im Kampf gegen den neuen Kolonialismus tragen, haben keine Möglichkeit, ihre Positionen in den Metropolen darzustellen. Vertretern von Hamas und Hisbollah wird regelmäßig die Einreise nach Deutschland verweigert, den irakischen Widerstand kann man ohnehin nur im Zerrspiegel der Mainstreammedien besichtigen. In dieser Situation ist es von unschätzbarem Wert, daß einige beherzte Linke im Frühjahr 2007 auf zwei Konferenzen in Berlin und im italienischen Chianciano Terme dieser Opposition eine Stimme gegeben haben. Die Redebeiträge sind nun in überarbeiter Form in einem Sammelband abgedruckt, der als Vademecum gegen die Gehirnwäsche aus Brainwa­shington unbedingt empfohlen sei. Im Klartext: Wer dieses Buch nicht gelesen hat, soll künftig die Klappe halten, wenn über den Nahen Osten, nein: über Imperialismus generell diskutiert wird.

Wandlungsprozeß

Denn was etwa der libanesische Widerstand im Sommer 2006 geleistet hat, ist von globaler Bedeutung. »Etwas Ähnliches hat es in der Geschichte der nationalen Befreiungskämpfe noch nicht gegeben. Die libanesische Hisbollah vermochte 34 Tage lang zu kämpfen und war am 34. Tag noch in der Lage, Hunderte Raketen auf israelisches Territorium abzufeuern.« (Klaus von Raussendorff) Gegen die Dummschwätzer, die Hisbollah als antisemitisch etc. denunzieren, wird auf den Wandlungsprozeß der Organisation verwiesen. Sie hat die Forderung nach einem islamischen Staat fallengelassen und strebt mittlerweile ein demokratisches System an, in dem sie die Regierung nicht übernimmt, sondern lediglich mit einem Drittel plus einer Stimme an ihr beteiligt ist. Ihre Familienpolitik hat »nichts zu tun mit dem reaktionär-konservativen Zurück-an-den-Herd und die Frau zu Hause einzusperren, sondern ihre Stellung zu verbessern mittels der Förderung ihrer Präsenz im öffentlichen Leben und besonders in der Arbeitswelt«.

Die Beiträge der deutschen bzw. österreichischen Referenten sind mehr als eine sinnvolle Ergänzung der Gäste aus Nahost. Herausragend etwa das Irak-Dossier von Joachim Guilliard, in dem auf 30 Seiten alles zusammengefaßt ist, was man wissen muß: die Op­ferzahlen, die Fraktionen in der US-Administration, die von Geheimdiensten inszenierten Anschläge, die diversen Operationen der Besatzer in den vergangenen Jahren, ihre weiteren Pläne. Sehr verdienstvoll ist die Darstellung der verschiedenen Gruppen des Untergrundes. So haben sich im Oktober 2006 im »Vereinten politischen Kommando des irakischen Widerstandes« neben Zivilgruppen wie der Baath-Partei auch drei Guerillaorganisationen zusammengeschlossen, nämlich die Al Rashidin Armee, die Islamische Armee und die Brigaden der 1920er Revolution. Alle haben sich darauf verpflichtet, nur Besatzungstruppen und keine Unbeteiligten anzugreifen. Guilliard bilanziert: »Es gibt keinen Grund, den irakischen Widerstand zu idealisieren, er unterscheidet sich aber auch nicht so sehr von früheren nationalen Befreiungsbewegungen in Afrika und Asien.« Wischnewski wüßte ein Lied davon zu singen.

Befreiungstheologie

Ein weiteres Highlight ist die geschliffene Abhandlung Willi Langthalers über den Islam bzw. die »islamische Befreiungstheologie«, als deren Träger er die Widerstandsgruppen definiert. Den Metropolenlinken, die gegen die angeblich rückständigen Moslems wechselweise den Säkularismus und den Antifaschismus ins Feld führen, schreibt er ins Stammbuch: »Im übrigen kann die Entwicklung des Säkularismus zur Herrschaftsideologie mit jener des Antifaschismus verglichen werden. Bis 1989/91 richtete sich letzterer gegen das kapitalistische Nachkriegsregime. Doch nachdem die kommunistische Gefahr gebannt war, umarmten die Eliten den Antifaschismus und ließen die Alt- und Neonazis als Spielbein der Herrschaft fallen. Der Antifaschismus wurde indes zu einem neuen Legitimationsinstrument der US-Vormacht und insbesondere des Zionismus transformiert. (...) Vom Säkularismus wie vom Antifaschismus blieb nur mehr eine Hülle stehen, während man den Inhalt in sein Gegenteil verkehrte.«

An zwei Punkten müßte indes noch weitergearbeitet werden. Zum einen ist der Gegenpol zum globalistischen Empire der USA meines Erachtens nicht der Islam, sondern der souveräne Nationalstaat. Was den Nahen und Mittleren Osten angeht, findet dieser seine Stütze zumeist in der muslimischen Religion, soweit stimmt die These Langthalers, aber selbst dort gilt das nicht überall. Immerhin ist im Libanon die christliche Partei des Exgenerals Michel Aoun ein mächtiger Verbündeter der Hisbollah.

In Europa darf die Verteidigung der Nationalstaaten keinesfalls antiislamisch aufgeladen werden, wie das etwa die FPÖ ganz im Sinne des Pentagon betreibt. Umgekehrt wäre aber auch ein Kotau vor dem Islam gefährlich. Die Linke müßte für einen Religionsfrieden nach französischem Vorbild werben, der den Einwanderern die Ausübung ihres Glaubens gestattet, aber das Profil der »Leitkultur« (Bassam Tibi) deutlich sichtbar hält.

* Nikolaus Brauns/Dimitri Tsalos: Naher und mittlerer Osten. Krieg, Besatzung und Widerstand. Pahl-Rugenstein Verlag 2007, 209 Seiten, 16,90 Euro